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Zu Besuch

Der Korridor wirkte trotz aufwändiger Wandbehänge mit Motiven aus der Pflanzenwelt auf sie verlassen und kalt. So sollte es nicht sein, das wusste Pevara, aber schon seit einer Weile kam ihr jeder Weg, den sie innerhalb der Weißen Burg zurücklegte, genauso vor, und zwar gleichgültig, ob Schwestern sich darin befanden oder nicht. Tatsächlich war es nicht kalt, richtig kalt wurde es hier im Inneren der Burg nie, sondern höchstens in den Außenbereichen, auch begegnete man gelegentlich einem Diener oder sogar einigen Aes Sedai und ihren Behütern. Verglichen damit aber, wie es in der Burg noch vor Jahresfrist zugegangen war, herrschte seit längerem eine düstere Stille und Einsamkeit in den Gängen, die bedrückend war.

Sie erwiderte Beonins Blick mit kühler Gelassenheit, als die Graue ihr unerwartet in einer Biegung des Korridors entgegenkam, aber innerlich erstarrte sie förmlich. Ein unbehagliches Ziehen an ihrer Stola und ein weiterer misstrauischer Blick, der mit gleicher Intensität zurückgegeben wurde, und sie waren aneinander vorbei. Es kostete Mühe, sich nicht umzublicken, nach dem, was sie gerade erfahren hatte, wenigstens würde ihr Verhalten nicht über Gebühr auffallen, denn Misstrauen schwebte wie die dichte, allgegenwärtige Rußwolke in der Schmiede ihres Vater zwischen den Ajahs. Der Behüter der Grauen wirkte kaum weniger angespannt als seine Aes Sedai, aber seine Blicke waren ihr nicht länger gefolgt, als angesichts der Umstände zu erwarten, wie sie erleichtert feststellte, als sie sich wenige Schritte später doch noch kurz umwandte.

Sie konnte ihre eigenen Behüter deutlich spüren, alle waren etwas beunruhigt, aber das war leider ein Dauerzustand, seit sie in Tar Valon angekommen waren. Alle drei waren verständlicherweise aufgebracht, weil es ihnen verboten worden war, Saidin zu lenken, ihre Versuche, die Gründe dafür zu erklären, waren auch eher dürftig ausgefallen, wie sie zugeben musste. Im Grunde war der Hauptgrund eine tief in ihr verwurzelte Angst vor der männlichen Hälfte der Einen Macht, aber es war unmöglich gewesen, das einzugestehen. Es war auch nicht nötig gewesen, alle drei verstanden auch so, schließlich teilten sie jetzt ihre Gefühle. Sie wünschte, sie könnte eine Grüne um Rat fragen, wie man den Bund verschleierte, angesichts der Notwendigkeit, ihren Bund geheim zu halten, leider völlig ausgeschlossen. Sie schalt sich selbst eine Närrin, sich nur theoretisch und nie praktisch mit der Frage der Behüter auseinandergesetzt zu haben, bevor sie den nutzlosen Gedanken abbrach.

Was hatte Beonin hier unten gesucht? Die Vermutung lag nahe, dass auch die Graue diese angebliche Leane besucht hatte. Tat sie das vielleicht öfter? Es schien wirklich, dass Beonin genauer im Auge behalten werden musste. Zumindest sollte es nicht allzu viel Aufmerksamkeit erregen, dass sie sich bei den Wachen beiläufig über sie erkundete, wenn sie sie auf dem Weg hierher getroffen hatte. Oder doch? Pevara seufzte lautlos, manchmal hatte sie den Eindruck, von ihrem eigenen Misstrauen förmlich erstickt zu werden.

Vor kaum einer halben Stunde waren sie und Ordine dem al’Vere Mädchen begegnet und die Rote hatte sie nach einem verächtlichen Blick auf das Mädchen gefragt, ob sie von deren dreister Anschuldigung gegenüber Beonin gehört hätte. „Welche Anschuldigung?“, hatte sie beiläufig gefragt. Die Antwort hatte sie fast umgeworfen.

„Das Mädchen hat sie bezichtigt, eine Schwarze Ajah zu sein, Pevara, stell Dir das vor! Und Beonin hat sie nur beiseite genommen und sie nicht einmal zu Silviarin geschickt. Angeblich war Melavaire dabei und hat es gehört. Unglaublich, was dieses Kind sich herausnimmt, falls es wirklich stimmt, eine Schwarze Ajah, man stelle sich das vor!“

„Das ist ein schwerer Vorwurf.“ Nur mühsam war es ihr gelungen, ihren Tonfall ruhig zu halten oder überhaupt eine halbwegs angemessene Antwort zu finden. Nach all den Monaten der Suche plötzlich so unerwartet auf einen so konkreten Hinweis zu stoßen, hatte sie erheblich aus der Fassung gebracht. Das Mädchen sofort zur Rede zu stellen, war ihr erster Impuls gewesen, aber sie hatte schnell eingesehen, dass es zu auffällig wäre, sich ihr gleich nach diesen Worten im Korridor zu nähern. Auch war das Mädchen nicht allein, zwei weitere Schwestern aus ihrer eigenen Ajah behielten sie im Auge. Es stand außer Frage, zu viel Interesse an diesem Thema zu zeigen, stattdessen erkundigte sie sich lieber nach dem Mädchen selbst.

Ordine, die ihren Einwand verächtlich abgetan hatte, gab ihr auf ihre vage neugierig gehaltenen Fragen bereitwillig und ausführlich Auskunft. Nach ihren Worten zu urteilen, hielt sie Egwene al'Vere für dreist und unverschämt, aber auf Pevara hatte sie verblüffend ruhig und selbstsicher für eine Novizin gewirkt. Was eigentlich kein Wunder war, immerhin hatte sie die Prüfung zur Aufgenommenen ja schon hinter sich. Viele Schwestern hatten wohl bereits Interesse an dem Mädchen gezeigt, als sie so überraschend gefangen worden war, aber das hatte schnell wieder nachgelassen. Jetzt schien sie nur noch selten zu „privatem Unterricht“ gerufen zu werden, meistens erledigte sie einfache Arbeiten wie das Wischen des Bodens vorhin. Angesichts ihres Potentials erschien das wie eine große Verschwendung. Irgendwie war es aber auch bemerkenswert, wollte denn keine der Schwestern das Kind zur Vernunft bringen, damit sie für die Weiße Burg ihr bestes geben konnte? Es schien unfassbar, dass das Mädchen nach wie vor auf ihrem Status als Amyrlin-Sitz bestand, sie fragte noch einmal nach, weil sie es nicht glauben konnte, aber Ordine ließ daran keinen Zweifel. Bisher hatte Pevara keinerlei Interesse an dem Kind gehabt, aber es war zumindest möglich, dass sie bei den Rebellen Zugang zu Informationen gehabt hatte, die hier in der Burg unbekannt waren – immerhin hatte sie die Position der Amyrlin innegehabt, wenn auch nur rein formell. Egwene al'Vere schien zudem von der Existenz der Schwarzen Ajah zu wissen. Dass sie derartige Anschuldigungen offen erhob, musste man wohl ihrer Jugend zuschreiben, aber es zeugte auch von einem erstaunlichen Mut. Noch bevor sie sich wenig später von ihrer Roten Schwester getrennt hatte, hatte sie beschlossen, möglichst bald allein mit dem Mädchen zu sprechen.

Zuerst jedoch wollte sie mehr über das wissen, was sie von dem Kind zu erwarten hatte, also war sie jetzt auf dem Weg zu dieser Leane, die zeitgleich mit ihr erwischt worden war. Wenn Egwene von den Schwarzen wusste, dann bestimmt auch diese Frau. Im Gegensatz zu dem Kind wurde sie nach wie vor anscheinend häufig von neugierigen Schwestern aufgesucht, daher sollte dieser Besuch nicht besonders auffallen, hoffte Pevara. Die Meinungen darüber, ob es sich bei ihr wirklich um Leane Sharif handelte, gingen nach allem, was sie gehört hatte, weit auseinander, also würde sie sich selbst ein Bild machen müssen.

Nur wenige hatten einen Grund, sich in diesen Bereich der Burg zu begeben, daher traf sie niemanden mehr, bis sie den, abgesehen von wenigen schlichten Holzmöbeln und einer Reihe von Schwertern an der Seite, leeren Vorraum zu den offenen Kerkern erreichte. Nur zwei Burgwachen taten hier Dienst und verzeichneten gewissenhaft jeden, der eintreten wollte, die gelungene Flucht Siuan Sanches – und natürlich Leanes – hatte eine bleibende Spur in den entsprechenden Regelungen hinterlassen. Sie gab ihren Namen an und wen sie besuchen wollte, beides wurde gelangweilt notiert. Es war auf dem Papierbogen auch kopfüber leicht zu erkennen, dass heute bereits sechs Schwestern, darunter auch Beonin, bei derselben Gefangenen gewesen waren, sie würde wohl tatsächlich nicht auffallen.

Wenig später nahm sie neben der zwar kleinen aber doch halbwegs angenehm eingerichteten Zelle auf einem schlichten hölzernen Hocker Platz, nachdem sie den zwei Gelben Schwestern, die hier Wache hielten, kurz grüßend zugenickt hatte. Leane erhob sich gelassen von dem gleichartigen Hocker, auf dem sie gesessen hatte, rückte ihn nahe an diese Seite ihrer Zelle heran und setzte sich wieder. Die Frau machte einen gelassenen Eindruck und ihr Verhalten wirkte routiniert, als sei dieses Ritual fester Bestandteil ihres Tagesablaufes hier. Einige Papiere lagen auf dem Tisch vor dem sie gesessen hatte, aber Pevara achtete nicht darauf, sie würde darin wohl kaum etwas darüber finden, weshalb sie hier war, selbst, wenn sie es von hier aus hätte lesen können. Stattdessen musterte sie die junge Frau vor sich und erkannte in dem hübschen Gesicht zumindest Ansätze der ehemaligen Behüterin der Chronik wieder.

„Pevara, ich muss gestehen, dass ich überrascht bin, Dich hier zu sehen. Was führt Dich in mein bescheidenes Gemach?“ wollte Leane freundlich wissen und lächelte leicht.

So kurz sie auch Zeit gehabt hatte, gab es doch einige Ansätze, die sie sich als Gespächsauftakt überlegt hatte, aber dennoch zögerte sie. Überrascht darüber, an der Identität der Frau keinerlei Zweifel zu hegen, sobald sie deren unverwechselbare Stimme erkannte, wurde ihr schlagartig bewusst, wem sie gegenübersaß. Diese Frau war gedämpft und dann von der Dämpfung geheilt worden! Die Bedeutung dessen, was sie zuvor nicht hatte glauben können, traf sie unerwartet und mit voller Wucht. Aber sie war nicht hier, um zu staunen, sondern um etwas über die Schwarze Ajah zu erfahren, also riss sie sich zusammen.

Statt einer direkten Antwort blickte sie hinüber zu Gaelindre, die unter den Wachen den höheren Rang einnahm, und fragte gelassen: „Ist es gestattet, mit ihr unter vier Augen zu sprechen?“ Eigentlich war es das natürlich nicht, aber es war einen Versuch wert.

Zu ihrer Verwunderung verzog die Gelbe ihren Mund kurz zu einem leichten Schmunzeln und Vayse lachte sogar kurz trocken auf. Gemessen am üblichen Misstrauen zwischen den Ajahs, wirkten beide trotz des lästigen Wachdienstes überraschend offen. „Wenn es nicht gestattet wäre, müssten wir drei von vier Schwestern melden.“ kam es von Gaelinde hörbar erheitert zurück.

„Mindestens.“ fügte Vayse hinzu und sie nickte zur Antwort. Vermutlich machten nur wenige Schwestern sich überhaupt die Mühe, vorher zu fragen, sie hätte sich vielleicht vorher bei Ordine danach erkundigen sollen, als sie die Gelegenheit hatte. Doch was geschehen war, war geschehen, also wob sie einen Schutz gegen Lauscher und wandte sich wieder an Leane.

„Was weißt Du über die Schwarze Ajah?“ Etwas direkt, aber die ehemalige Behüterin der Chronik zuckte mit keiner Wimper.

„Einiges.“

„Haben schon andere Schwestern Dich danach gefragt?“

„Einige. Allerdings noch keine so direkt.“

„Wer?“

Diesmal war alles, was sie zurückbekam, Schweigen, aber damit hatte sie gerechnet. Da sie als Sitzende Zugang zum Eidstab hatte, hatte sie sich das ein weiteres Mal zunutze gemacht und zog ihn jetzt vorsichtig hervor, außer Sicht der Wachen natürlich. Angesichts ihres gehaltenen Schildes fiel der geringe Strom an Geist, den sie zugleich gewoben hatte und jetzt hinein lenkte, bestimmt nicht auf. „Ich schwöre, die Wahrheit zu sagen. Ich bin keine Schattenfreundin.“

Leanes Augen huschten nur einen winzigen Moment zum Eidstab, ihre Brauen hoben sich ein winziges Stückchen und die dunklen Augen funkelten. „Eine kurze Berührung sollte nicht auffallen, halte ihn in meine Richtung.“ sagte sie ruhig.

Pevara unterdrückte ein Nicken, bevor ihr bewusst wurde, dass es unnötig war, hielt den Stab neben ihrem Schenkel vor die Gitterstäbe und Leane zögerte nicht: „Ich schwöre, die Wahrheit zu sagen.“ Sie sprach schnell und zog ihre Hand sofort zurück, aber dennoch wirkten die wachhabenden Schwestern plötzlich aufmerksamer.

Ruhig verbarg sie den Eidstab wieder unter ihrem Gewand, sie hoffte, man würde die kurze Berührung vielleicht als Rührung auffassen, denn Leane wirkte sichtlich gelöster. Das würde zwar ebenfalls seltsam wirken, aber nicht zu sehr. Eine Schwester zu treffen, die von einer Dämpfung geheilt worden war, konnte man kaum als alltäglich bezeichnen. Sicher würden die Wachen annehmen, Leane habe sie gerade eindeutig von ihrer Identität überzeugt und sei deshalb erleichtert.

„Ich wandle wahrhaftig im Licht, Pevara.“ Aufregung und Stolz klangen zu gleichen Teilen in der viel zu gereift für diesen Körper klingenden Stimme mit, aber sie fing sich rasch. „Allerdings bin ich nicht diejenige, an die Du Dich wenden musst, wenn Du etwas über die Schwarze Ajah erfahren willst.“

„Was soll das heißen? Ich wandle im Licht, verdammt, und ich muss auf der Stelle alles erfahren, was Du über sie weißt, für Spielchen haben wir keine Zeit.“ Ihr Tonfall war alles andere als angemessen, aber Leane ließ sich davon nicht beeindrucken.

„Alle Schwarzen Ajah, die ich eindeutig kenne, befinden sich außerhalb der Weißen Burg, Pevara, daher geht für Dich keine direkte Bedrohung von ihnen aus. Ich bin Dir dankbar für diese Gelegenheit, zumindest den Ersten Eid erneut abzulegen, sehr sogar, aber das spielt keine Rolle.“

Also hatte die Dämpfung die drei Eide offenbar bei Leane – und damit auch bei Siuan Sanche, die sich im Lager der Rebellen befand – unbrauchbar gemacht. Darüber hatte sie sich zuvor nie Gedanken gemacht. Sie konnte sich vorstellen, dass beide dies bei den Rebellen weidlich ausgenutzt hatten, doch dies ging nur am Rande in ihre Überlegungen ein. Wie konnte Leane sich weigern, mit ihr zusammenzuarbeiten? Sie konnte es nicht verstehen.

Als sie einen Moment geschwiegen hatte, wie um sich zu sammeln, ergriff Leane erneut das Wort „Willst Du etwas über die Schwarze Ajah erfahren, dann musst Du Dich an den Amyrlin-Sitz Egwene al'Vere wenden, ich habe Befehl, darüber zu schweigen. Wenn Du die Amyrlin siehst, kannst Du ihr übrigens auch gleich von mir ausrichten, dass es allmählich nachlässt. Sie wird wissen, was ich meine.“

An den Amyrlin-Sitz Egwene al'Vere? Leane konnte nicht ernsthaft glauben, dass dieses Kind eine Chance hatte, ihren Anspruch jetzt noch gegenüber Elaida zu behaupten! Doch je länger Pevara darüber nachdachte, desto klarer wurde ihr, dass nicht nur Leane, sondern auch das Mädchen selbst wahrhaftig an diese Möglichkeit glaubten. Sie fragte sich, was nachlassen mochte, aber vermutlich handelte es sich nur um eine Art Code, der von ihr übermittelt werden sollte, es musste keine direkte Bedeutung dahinterstecken. Es war zwar gut zu wissen, dass diese Frau im Licht wandelte, aber würde eine so erfahrene Aes Sedai wie Leane Sharif sich tatsächlich der Autorität eines Kindes als Amyrlin unterwerfen? Zweifel an der Identität der Frau vor ihr bildeten sich von Neuem. „Bist Du die ehemalige Behüterin der Chronik Leane Sharif?“

„Ja.“ Kühle Gelassenheit begegnete ihrem eigenen Blick und sie wusste, dass sie hier nicht mehr viel erfahren würde. Sie erkundigte sich nach den Besuchen von Beonin und erwähnte sogar Egwenes Anschuldigung, aber erneut wurde sie an das Mädchen verwiesen. Auf weitere Nachfragen reagierte die sture Domani nicht einmal mehr mit einer Antwort. Mit einem leichten Kopfschütteln erhob sie sich frustriert und ließ den Schild fallen.

„Es ist schön zu sehen, dass Du nicht den Mut verlierst, Leane, aber vielleicht solltest Du Deine Prioritäten noch einmal überdenken.“ Sie konnte eine gewisse Schärfe nicht aus ihrer Stimme fernhalten, aber sicherlich war sie da nicht die einzige, wenn Leane anderen dieselbe Geschichte erzählt hatte.

„Ich glaube nicht, Pevara. Von mir wirst Du nichts über das Schnelle Reisen erfahren. Trotzdem danke für Deinen Besuch.“ Eine geschickte Ablenkung, musste sie zugeben. Niemand hier wusste, dass sie das Schnelle Reisen längst beherrschte, sicher fragten andere Schwestern Leane deswegen Löcher in den Bauch. Leider konnte man deutlich heraushören, dass ein weiterer Besuch bei ihr keine neuen Erkenntnisse bringen würde. So weich ihr Auftreten nach außen hin auch wirken mochte, innerlich war sie so stark wie jede andere Aes Sedai. Sie hatte für den Besuch hier einige Aufmerksamkeit riskiert und nichts dafür erfahren. Reine Zeitverschwendung, gestand sie sich missmutig ein. Es blieb ihr wohl tatsächlich nichts anderes übrig, als vielleicht schon morgen mit dem al'Vere-Mädchen zu sprechen, wenn es sich unauffällig einrichten ließ.

Während sie auf dem Rückweg zu ihrem Quartier war, ließ sie sich das Gehörte noch einmal durch den Kopf gehen und erkannte schließlich doch so etwas wie eine Logik dahinter. Leane war in ihrem Kerker einem Anschlag durch die Schwarze Ajah nur schwierig zugänglich, weil die dafür zugeteilten Wachen sich sonst automatisch verdächtig machen würden und die Besuche der Schwestern unvorhersehbar waren, aber Egwene al'Vere befand sich auf dem Präsentierteller - Novizin und dazu noch dieser Trank, sie war völlig schutzlos. Da das Mädchen offenbar von der Existenz der Schwarzen Ajah wusste, sollte sie eigentlich zitternd und ängstlich durch die Gänge der Burg schleichen. Es würde mindestens zwei weitere Schwarze unter den Roten geben und gleichzeitig zu dem unbeliebten Wachdienst für das Mädchen eingeteilt zu werden, wäre kein Problem. Wenn nun aber das Einzige, welches eine vollständige Aussage der Vollschwester Leane Sharif über die Schwarze Ajah verhinderte, der direkte Befehl des Mädchens war, konnte die Schwarze Ajah es sich nicht leisten, sie zu töten. Nur zu verständlich, dass das Mädchen energisch an ihrer Position festhielt, ganz gleich, was Silviarin auch mit ihr anstellte, denn gab das Mädchen den Anspruch auf, war der Befehl hinfällig.

Neidlos musste sie anerkennen, dass die beiden sich angesichts ihrer prekären Lage effektiv zu schützen wussten. Gegen ihren Willen war sie beeindruckt, es wäre ihr sehr recht, einen ähnlichen Schutz zu besitzen. Gleichzeitig schützte natürlich Egwene durch ihre Anwesenheit Leane, es machte keinen Sinn, die ehemalige Behüterin der Chronik zu töten, denn dann gäbe es nichts mehr, was das Mädchen davon abhielt, ihrerseits auszupacken. Angesichts deren beharrlich eingeforderten Status' als Amyrlin würde es sicherlich einige Schwestern geben, die davon beeindruckt waren und ihr Glauben schenken würden. Die Schwarze Ajah wusste das genauso sicher wie sie selbst, an Leanes Stelle hätte sie folglich jede ihrer Besucherinnen, die das Thema Schattenfreunde auch nur am Rande erwähnte, als allererstes auf diesen Befehl hingewiesen – was sie zweifellos auch getan hatte. Außer ihr selbst waren vermutlich nur Schwarze Ajah das Risiko eingegangen, Leane darauf anzusprechen, und nur für sie ergab dieser Befehl einen klar erkennbaren Sinn. Die Schwarze Ajah musste vor Wut auf die beiden kochen! Das einzige, was sie angesichts dieser Lage tun könnte, wäre, beide zu töten. Doch auch diese Möglichkeit schied von vornherein aus, denn es wäre viel zu auffällig, selbst die weltfremdeste Braune würde dadurch misstrauisch und alle anderen würden lauthals eine Untersuchung verlangen. Die – auf völlig unbekanntem Weg erreichte! – Gefangennahme dieser beiden war der einzige Erfolg von Elaidas Machenschaften gewesen, sie könnte diese Untersuchung nicht einmal dann aufhalten, wenn sie es wollte.

Überrascht stellte sie fest, dass Saerin sich in ihrem Gemach aufhielt, als sie es betrat.

„Der Eidstab ist verschwunden, Pevara.“ Die Braune Sitzende saß scheinbar gelassen in einem der schlichten und doch bequemen Polstersessel aus einheimischer Produktion, aber in ihrer Stimme hörte man deutliche Anspannung und sie hatte sofort bei ihrem Eintreten einen Schutz gegen Lauscher gewoben.

Sie holte den Eidstab unter ihrem Gewand hervor. „Ich war gerade bei Leane Sharif. Sie weiß über die Schwarze Ajah Bescheid, verweigert aber die Aussage, obwohl sie im Licht wandelt. Sie sagte, ich solle Egwene fragen, wenn ich etwas erfahren will.“

„Ist Dir klar, was Du für ein Risiko eingegangen bist?“ Saerins Schnauben klang nur wenig erleichtert, sondern eher missbilligend. Saerin hatte gut reden, was war denn mit dem Risiko, einfach in ihr Quartier zu marschieren? Sie erwähnte das Offensichtliche jedoch nicht, sondern blieb beim Thema.

„Hat außer Dir noch jemand die Abwesenheit des Eidstabes bemerkt?“ Erleichtert sah sie die Braune den Kopf schütteln. Sicherlich waren von ihr Maßnahmen eingeleitet worden, die die Abwesenheit des Eidstabes erklären konnten, falls sie bemerkt wurde. Ausführlich erstattete sie Bericht über ihren Besuch im Kerker und ihre diesbezüglichen Überlegungen und sie wurde nicht unterbrochen. „Ich werde morgen eine private Unterrichtsstunde mit dem Mädchen vereinbaren.“ erklärte sie abschließend.

„Das dauert zu lange. Yukiri und Doesine bekommen entweder Verfolgungswahn, oder sie werden tatsächlich verfolgt, außerdem findet morgen Nacht eine Vollversammlung der Schwarzen Ajah statt.“ Eine Vollversammlung? Licht, und schon morgen! Der Auslöser war mit Sicherheit Talenes Verschwinden und jetzt steckten sie wirklich in der Zwickmühle, denn sie mussten natürlich auch die anderen aus dem Blickfeld schaffen. Verdammt! Saerin wirkte wie üblich völlig gelassen, als sie fortfuhr. „Es scheint, dass man uns dicht auf den Fersen ist, es fällt mit Sicherheit auf, wenn drei weitere Schwarze sich scheinbar aus dem Staub machen. Jedenfalls dürfen wir keine Zeit mehr verlieren, Du wirst morgen früh die erste Wache freiwillig übernehmen und dem Kind nicht mehr von der Seite weichen, bis sie Dir alles gesagt hat, was sie weiß, klar?“

„Das ist viel zu auffällig, Saerin, das kann ich unmöglich machen!“ Gleichzeitig wusste sie, dass es zu spät war. Wenn Saerin sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, führte vermutlich kein Weg mehr daran vorbei. Außerdem wollte sie mit dem Mädchen sprechen, sie musste einfach etwas wissen und reden, sie musste.

„Es sollte Dir nicht schwer fallen, eine passende Ausrede zu finden. Aber deshalb bin ich nicht hier. Suche Dir noch heute Nacht eine Rote aus und prüfe sie mit dem Eidstab.“ Jetzt war klar, warum Saerin das Fehlen des Eidstabes bemerkt hatte: Sie hatte ihn selbst holen und hierfür zu ihr bringen wollen. Pevara wollte ob dieser Zumutung erneut protestieren, aber die verdammte Frau beachtete es einfach nicht und sprach unbeeindruckt weiter. „Wir brauchen eine zweite Rote auf unserer Seite, Pevara, nicht auszudenken, wenn Dir etwas zustößt, ein zweiter Zugang zur Roten Ajah ist eindeutig unverzichtbar. Angesichts der derzeitigen Lage zwischen den Ajahs wäre es völlig unmöglich, ohne Deine Mitwirkung weiteren Zugang zu Roten Schwestern zu finden, seien sie Schwarze Ajah oder nicht. Außerdem schlagen wir so zwei Fliegen mit einer Klappe, denn sie kann Dich zu Deiner Wache bei Egwene begleiten.“

„Aber der Eidstab...“ weiter kam sie nicht, sondern wurde sofort unterbrochen.

„Den wirst Du spätestens im Morgengrauen brauchen, wenn Du es nicht heute Nacht schon machst, sieh zu, dass er vor dem Frühstück wieder an seinem Platz ist. Und jetzt sollte ich verschwinden, die Roten da draußen haben mich angestarrt, als wäre ich der Wiedergeborene Drache persönlich, als ich an Deine Tür klopfte. Gute Nacht, Pevara.“

„Gute Nacht.“ gab sie mechanisch zurück. Für Einwände war es zu spät, denn der Schild war verschwunden und die verdammte Braune schon halb an der Tür. Stirnrunzelnd sah sie zu, wie die Tür gelassen geöffnet und geschlossen wurde. Jede einzelne Rote würde morgen früh wissen, dass sie miteinander gesprochen hatten! Seufzend erkannte sie dann, dass dies ihr einen idealen – weil plausiblen – Vorwand lieferte, morgen früh Egwenes Wache zu übernehmen. Die Ereignisse des Tages hatten ihr Gehirn weniger schnell schalten lassen als gewohnt, Saerin musste das gleich erkannt haben. Beiläufig fragte sie sich, welche Ausrede Saerin ansonsten für ihr Erscheinen parat gehabt hätte, zweifellos eine gute.

Müde stützte sie ihren Kopf auf beide Hände und fragte sich verzweifelt, welcher Roten sie genug vertraute, um sie zu prüfen. Saerin hatte natürlich recht, dass sie eine weitere Rote brauchten, aber welche sollte sie bloß prüfen? Eine einsame Träne rann nach einer Weile ihre Wange hinab. Es würde eine der vier sein müssen, die außer Tarna mit ihr in der Schwarzen Burg gewesen waren, aber selbst bei ihnen...

Sie riss sich zusammen, als es an der Tür klopfte und direkt im Anschluss die Tür geöffnet wurde. Rasch wischte sie ihre Tränen fort, als eine der vier, Jezrail Chiama, sichtbar neugierig den Raum betrat. „Bei Dir brannte noch Licht und ich habe mich gefragt...“

Pevara seufzte lautlos. Eine war so gut wie die andere, entschied sie, griff nach Saidar, wob einen Schutz gegen Lauscher und schirmte sie ab, kaum dass die Tür geschlossen war. Sicherlich war dieser neugierige Besuch genau, was Saerin erwartet hatte, und Pevara zweifelte nicht daran, dass es bald noch weitere unangenehme Überraschungen für sie geben würde.



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