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Neue Möglichkeiten

Die Gänge innerhalb der Weißen Burg wirkten zu dieser späten Stunde verlassen. Dennoch fühlte sie sich nicht sicher.

Alviarin Freidhen war in Schwierigkeiten und sie wusste es.

Und sie wusste auch, dass es nur eine Chance für sie gab, am Leben zu bleiben und zu bekommen, was sie verdiente: Sie musste mehr wissen, immer mehr wissen als die anderen, nur so behielt sie die Kontrolle. Eine Kontrolle, von der sie stark annahm, dass sie gefährdet war, zumindest, soweit es die Schwarze Ajah betraf. Noch immer hoffte sie, eine Verschwörung innerhalb der Schwarzen aufzudecken, inzwischen war sie recht überzeugt, dass Talenes Flucht direkt mit ihrer bevorstehenden Aussage vor dem Hohen Rat in Zusammenhang stand, weil trotz ihrer Nachforschungen keine andere plausible Erklärung aufgetaucht war. Die Frage war nun, ob sie Atuan vor den Hohen Rat rufen sollte, die einzige Talene bekannte Schwester, die ebenfalls eine Schwarze Ajah und zugleich hier in der Burg war. Aber würde das reichen? Falls auch die sich aus dem Staub machte, würde sie fast zwei Wochen verlieren, und wer wusste schon, was in der Zwischenzeit geschah?

Die Überwachung von Doesine und Yukiri hatte bisher auch noch keine wertvollen Hinweise geliefert. Zwar war ihr von einigen Treffen Yukiris mit anderen Sitzenden berichtet worden, aber das war leider trotz des allgegenwärtigen Misstrauens noch zu wenig, von Sitzenden wurde schließlich erwartet, dass sie miteinander sprachen. Dennoch wurde jetzt auch Pevara überwacht. Doesines Überwachung hatte bisher leider überhaupt keine Hinweise ergeben. Noch immer zog Alviarin eine Entführung in Betracht, es würde natürlich Yukiri sein müssen, die Gelbe wirkte einfach zu unauffällig. Ihre und Pevaras Reaktionen würden vielleicht zusätzlich noch wichtige Hinweise geben können, aber es würde Yukiri sein, die ihr alle nötigen Informationen liefern konnte. Aber neben dem Risiko, sich überhaupt an einer Sitzenden zu vergreifen, konnte ihr Verschwinden bei der gegenwärtigen Stimmung eine Panik verursachen, die Elaidas Position zu sehr schwächte. So sehr es ihr auch missfiel, ohne die verdammte Närrin Elaida an der Spitze würden die Schwestern der Weißen Burg entweder selbst rebellieren oder – was leider wahrscheinlicher war – gleich zu den Rebellen überlaufen. Sie hatte von mehreren Schwarzen Ajah Berichte über – noch – zurückhaltende Gespräche erhalten, die von „passivem Widerstand“ bis zu „Meuterei“ reichten! Und zwar aus sämtlichen Ajahs, niemand schien genauer zu wissen, wo die Quelle dieser beunruhigenden Ideen lag. Das unerklärliche Verschwinden einer Sitzenden würde Elaida, gemeinsam mit deren sonstigen Fehlschlägen und angesichts der derzeitigen Stimmung, sicherlich den Amyrlin-Sitz kosten und zugleich vielleicht den vom Licht verfluchten Rebellen den Sieg bescheren. Das war besonders beunruhigend, da vor kurzem auch Delanas Berichte ein plötzliches Ende gefunden hatten. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie dies mit Talenes Verschwinden zu tun hatte, aber eine Verbindung war nicht völlig auszuschließen.

Zwar war sie zu recht stolz auf das Chaos, welches sie in der Burg verursacht hatte, aber im Moment wäre ihr ein kleines bisschen Ordnung höchst willkommen, überlegte sie missmutig. Bei der aktuellen Lage war es praktisch unmöglich, die Reaktionen einzelner oder gar vieler Aes Sedai abzuschätzen, all die Logik, die ihr sonst so nützlich gewesen war, brachte jetzt rein garnichts mehr. Alviarin knirschte mit den Zähnen. Sie hatte die Befehle des Großen Herrn und der Auserwählten durchaus erfolgreich ausgeführt, doch was nützte das, wenn ihr jetzt zunehmend die Kontrolle über die Situation in der Weißen Burg zu entgleiten drohte! Sie musste wenigstens irgendwie ihre Kontrolle über die Schwarze Ajah ausbauen. Lange Jahre hindurch war das System mit den hinterlegten Botschaften ausreichend effektiv gewesen, doch jetzt kam es auf schnelle Reaktionen an, was sich aber gegenwärtig kaum gewährleisten ließ.

Der kühne Plan, der ihr im Moment vorschwebte, war deutlich drastischer als eine Entführung: eine Vollversammlung einzuberufen, auf der alle Schwarzen Ajah ihre Identitäten einander offenlegten. Alle außer ihr selbst natürlich. Tarmon Gaidon rückte näher und es war vielleicht an der Zeit, dass die Schwarze Ajah endlich geschlossen auftreten konnte. Auf diese Weise würden auch eventuelle weitere Verräter in ihren Reihen gleichzeitig verschwinden müssen, wenn sie nicht auffliegen wollten, und das wäre ein handfester Beweis für eine Verschwörung, besonders, wenn eine Verbindung zu Talene bestand. Andererseits war dieser Plan auch äußerst riskant, seit dem Aielkrieg hatte keine Vollversammlung mehr stattgefunden und angesichts des allgemeinen Misstrauens innerhalb der Weißen Burg war die Entdeckungsgefahr groß wie nie.

Auf der anderen Seite brauchte sie dringend einen Erfolg. Warum bloß hatte sie diesen Padan Fain nur laufen lassen? Sie hatte ihn doch schon gehabt! Die Antwort lautete natürlich, dass sie den Todesbefehl für ihn erst kürzlich bekommen hatte, aber sie wusste, das würde als Ausrede nicht gelten, wenn es herauskam. Noch schienen sie beide die einzigen zu sein, die von diesem Versagen wussten, würde sie im Licht wandeln, würde sie es vermutlich anflehen, dass er über ihr Treffen Stillschweigen bewahren möge, überlegte sie trocken. Der Mann hatte etwas an sich gehabt, das förmlich danach verlangte, ihm zu glauben. Als „schlimmer als ein Schattenfreund“ hatte die verschwundene Moiraine Damodred, die früher ständig nur im Dreck zu wühlen schien und dennoch zum Problem geworden war, ihn schon in Fal Dara bezeichnet und es musste etwas dran sein, wenn selbst die Verlorenen ihn tot sehen wollten.

„Blut und Asche!“, hätte sie fast geflucht, aber mehr als ein leiser Unmutslaut entwich nicht ihren Lippen, weil sie ihren wütenden Ausbruch sofort unterdrückte. Energisch riss sie sich zusammen und senkte die Hand, die unbewusst nach ihrer Stirn gefasst hatte. Gerade weil der Große Herr sie gezeichnet hatte, war es unumgänglich, ihre übliche Gelassenheit wiederzugewinnen. Vielleicht war Moiraine Damodred tatsächlich kein Problem mehr, wie alle ihre Quellen besagten, doch wie konnte sie sicher sein? Wenn es ihr gelang, den sprichwörtlichen Verstand der Weißen Ajah zu beweisen, dann hatte sie kaum etwas zu befürchten. Und dennoch, woher die Hand des Schattens (seinen eigentlichen Namen wagte sie kaum zu denken) seine Informationen bezog, war ihr völlig schleierhaft, aber er schien überzeugt, dass die Frau noch nicht aus dem Spiel war. Sie verfügte selbst über beträchtliche Informationsquellen, mehr zumindest, als Mesaana wissen konnte, auch wenn sie bei Manchem gezwungen gewesen war, sie auf dem Laufenden zu halten. Die Auserwählte war ihr gegenüber deutlich kühler geworden, sie hatte sich schon eine Weile nicht mehr bei ihr blicken lassen. Einerseits war ihr das durchaus recht, aber andererseits fehlte ihr so jede Möglichkeit, weitere Hinweise auf deren Versteck in der Burg zu bekommen. Auch einige der Aufträge, die sie von der Auserwählten bekommen hatte, beschäftigten sie noch immer. Diese seltsamen Seanchan zum Beispiel. Die Vorstellung, wie diese erbärmlichen Damane enden zu können, hatte sie mehr erschreckt, als vieles andere. Genug davon!, riss sie sich zusammen. Es gab nur eines, das sie retten konnte, Erfolg.

Energisch schritt Alviarin Sedai von der Weißen Ajah voran und wagte kaum daran zu denken, dass sie in Wahrheit eine Schwarze war. Dass sie gezwungen war, so spät abends zu essen, deprimierte sie, doch die Blicke der anderen zu vermeiden würde angesichts ihrer Strafe – von der praktisch jeder in der Burg wusste! – nicht verdächtig wirken. Viel wichtiger war es, zu ungewohnten Zeiten durch die Burg zu streifen und auf alles Außergewöhnliche zu achten, darum ließ sie sich das Essen auch nicht einfach heraufbringen.

Das, was ihr heute wieder besonders auffiel, war das Fehlen der Augen. Nur selten waren in letzter Zeit noch Augen des Großen Herrn zu sehen. Sowohl die Quartiere der Novizinnen als auch die Bereiche der Angestellten und sogar die Gärten wurden gelegentlich kontrolliert – von Schwestern aller Ajahs, möge der Schatten Tarna Feir verschlingen! – nur im Bereich der Küche hatte Alviarin gelegentlich noch Ratten erspäht, so wie auch jetzt. Um keine Aufmerksamkeit auf den Beobachter zu lenken, formte sie nur ein kurzes Zeichen mit zwei Fingern, obwohl sonst niemand in Sichtweite war. Selbst so viel hatte sie nur selten riskiert, aber der Blick des kleinen Nagers war eindeutig auf sie gerichtet gewesen und es schien angebracht, dem Großen Herrn ihren Respekt so oft wie möglich zu zeigen.

Überrascht blieb sie stehen, als sie weitere Ratten direkt vor sich erblickte, die wie aus dem Nichts vor ihr auftauchten. Als sie sich langsam umblickte, waren auch im Gang hinter ihr Ratten. Insgesamt waren es nicht mehr als zwanzig oder dreißig, allesamt in einer merkwürdigen Haltung, wie sie jetzt bemerkte. Und dann erkannte sie, dass die Ratten sich verbeugten. „Großer Schatten!“ flüsterte sie erschüttert und sofort hörte sie eine Antwort direkt in ihrem Verstand. „Nur noch vierunddreißig sind übrig, Du musst dringend etwas gegen Tarna unternehmen, aber das ist nicht der Grund für dieses Treffen. Die Situation in der Weißen Burg ist besorgniserregend, bietet aber auch interessante Möglichkeiten, darum wurde entschieden, Deine Position hier etwas zu verstärken. Keine Angst, Shadaranath, niemand wird uns stören, sieh’ auf die Wache.“

Es war kein Hören im eigentlichen Sinne, mehr ein Spüren. Wie höchste Freude und Ekstase und gleichzeitig wie ein Hauch von Furcht, der alles durchdrang. Shaidar Haran würde wahrscheinlich in unmittelbarer Nähe sein, aber sie war von der Stimme zu gebannt, um auch nur die näheren Schatten nach ihm abzusuchen. Shadaranath bedeutete etwas wie „Spross des Schattens“, mehr noch, eine lebenslange Bindung war Teil der Bedeutung, aber das nahm sie nur am Rande wahr. Die Sorge, entdeckt werden zu können, verblasste. Und dann fühlte sie es und sah es und hörte es und…

… es war wie ein Traum, nur wirklicher. Sie spürte, wie acht Ratten ringsum Wache hielten, sah leere Korridore vor ihnen liegen, während die übrigen hier waren und sie ansahen. Die Bilder, die sie wie mit vielen eigenen Augen wahrnahm, zeigten ihr eine etwas unscharfe Frau, bei der es sich ohne Zweifel um sie selbst handelte. Die Wahrnehmung war immerhin scharf genug, dass sie die Verblüffung, die sie empfand, deutlich auf ihren eigenen Zügen erkannte. Hinzu kamen wirre und beängstigende Eindrücke von den Gefühlen der Ratten, die sie dank der Erfahrungen mit ihrem bisher einzigen Behüter rasch verdrängen konnte, was eine große Erleichterung war. Sie spürte sogar flüchtig einen Hauch der Krähen, die Tar Valon bewohnten – und vielleicht die ganze Welt. Noch nie hatte sie so sehr gespürt, wie der Große Herr der Dunkelheit die Welt durchdrang. Ehrfurcht verdrängte jedes andere Gefühl und sie warf sich zu Boden, fast ohne es zu merken. Hastig murmelte sie die alte Formel, die Respekt bekundete und unvermeidlich war.

„Nimm sie in die Hand.“ Rasch hob sie ihren Blick. Die Eindrücke der Ratten waren fort, als hätte es sie nie gegeben, aber sie wusste es besser. Eine Ratte war direkt vor sie gelaufen und hob die Vorderbeine wie Hunde es manchmal taten.

Ohne Zögern tat sie wie geheißen. Hier war Widerstand weder angebracht, noch vonnöten, er mochte sogar gefährlich sein. Behutsam ergriff sie die Ratte und betrachtete sie angewidert. Es war ein mageres Exemplar, das kränklich wirkte.

„Töte sie mit der Macht.“

Diesmal erklang die Stimme viel stärker, schien sie zu durchdringen, und sie klang so sehr danach, dass Shaidar Haran direkt hinter ihr stand, dass Alviarin sich suchend umblickte, bevor sie bemerkte, dass die Stimme irgendwie aus der Ratte erklungen war. Schnell versuchte sie, nach Saidar zu greifen, um die widerliche Ratte zu töten, doch Saidar war verschwunden!

„Töte sie mit MEINER Macht, Närrin! Mit der Wahren Macht!“

Eindeutig ein Befehl, doch was war gemeint? Sie wollte so gerne gehorchen! Tränen rannen über ihre Wangen, die Stimme erfüllte sie mit Furcht und Ekstase zugleich und sie konnte sich nicht rühren. „Oh, Großer Herr der Dunkelheit, Dein Wille geschehe!“ flüsterte sie heiser, aber mit Inbrunst, und gedachte dabei seines Zeichens auf ihrer Stirn. Und sofort spürte sie es. Ein Gefühl unglaublicher Macht erfüllte sie. Plötzlich war sie sich sicher, absolut alles erreichen zu können!

Sie griff nach der Macht des Großen Herrn – die einzige Wahre Macht, wie sie nun mit absoluter Sicherheit wusste – und tötete die Ratte augenblicklich.

Sie erhob sich staunend und lachte, welche Macht war ihr geschenkt worden! Feine Asche sank träge aus ihrer Hand zu Boden, mehr war nicht geblieben. Ergeben hörte sie zu, als die jetzt wieder leisere und daher erträglichere Stimme ihr mitteilte, was von ihr erwartet wurde. Dann verschwand die Stimme und ließ sie allein zurück, nachdem sie bereitwillig zu gehorchen geschworen hatte.

Schnell wie eine Illusion verschwanden die Ratten in den leeren Gängen, doch sie spürte sie weiterhin in der Nähe, wenn sie sich darauf konzentrierte, auch wenn die Eindrücke mehr und mehr verblassten. Aber das war jetzt nicht wichtig. Es gab viel zu tun und keinerlei Spielraum für Fehler! Padan Fain zu töten war eine Notwendigkeit, es war nur praktisch, dass dies zu ihren Aufgaben zählte. Angesichts ihrer derzeitigen Lage war es jedoch unmöglich, zu garantieren, dass sie ihn fand. Er war jedoch letztlich nur ein Ärgernis, weiter nichts.

Egwene al'Vere war mindestens so stur, wie jeder von den verdammten zwei Flüssen, den sie bisher kennen gelernt hatte, doch wie könnte sie ihr, Alviarin, in ihrem gegenwärtigen Zustand gefährlich werden? Dennoch hatte sich Shaidar Haran klar ausgedrückt, der Große Herr hielt sie für gefährlich, also musste sie möglichst bald beseitigt werden. Sie bemerkte kaum, wie selbstverständlich sie plötzlich den Namen des großen Myrddraal dachte. Mit dem al'Vere Mädchen würde sie schon fertig, keine Frage.

Aber Tarna Feir war wirklich ein Problem, zumindest bis jetzt, ihre Stärke in der Macht war der Alviarins zu ebenbürtig und ihre Position trotz allem, was zwischen den Ajahs lag, zu respektiert. Doch nun war alles anders. Mit der Wahren Macht würde sie Tarna mehr als überlegen sein, konnte sie sich dauerhaft mit Zwang unterwerfen, vielleicht war sogar Mesaana nicht mehr unbesiegbar! Wegen der exponierten Stellung, die Tarna einnahm, musste man dennoch Vorsicht walten lassen, schließlich konnte sie nicht riskieren, dass die Schwarze Ajah mit deren unvermeidlichem Tod in Verbindung gebracht wurde.

Sie achtete kaum auf die Novizin, an der sie vorbeieilte. Und auch nicht auf Laras, die Herrin der Küche, die ihr lange nachblickte.

Nur selten zeigten sich Gefühle auf dem Gesicht einer Aes Sedai und noch seltener auf dem einer Weißen, doch Alviarin bemerkte das erstarrte, breite Lächeln nicht, das auf ihren Zügen lag. Mit solcher Macht, überlegte sie, sollte es doch möglich sein, hinter die Fassade Mesaanas zu blicken. Ja, Mesaana zu enttarnen mochte eine gute Idee sein, wenn der Zeitpunkt stimmte, doch vorerst musste sie die Auserwählte erst einmal finden. Das würde ihre eigene Mission sein, die einzige, bei der sie zumindest einen Hinweis auf die Lösung hatte. Sie musste dieses Kleid finden, unbedingt!

Es gab noch so viel zu tun. Jetzt war es ohne jeden Zweifel an der Zeit, die Vollversammlung schnellstmöglich einzuberufen. Alviarin war sicher, dass dabei etwas zutage kommen würde, falls es eine Verschwörung gab. Diesmal würde sie selbst einige Botschaften hinterlegen müssen, damit es schneller ging, aber dieses Risiko musste sie eben eingehen. Sie würde auf der Vollversammlung außerdem eine ganze Reihe von Befehlen umsetzen und die Schwarzen Ajah würden über die Weiße Burg und das ganze Land kommen, wie ein Sturmwind!

Die Wahre Macht war jetzt in ihr so stark, dass es fast schmerzte, und sie zog weniger heran. Es fiel schwer, die Stärke im Vergleich zu Saidar abzuschätzen, aber vom Gefühl her glaubte sie, es jetzt problemlos mit dem al'Vere-Mädchen aufnehmen zu können, wenn sie ihre volle Stärke besaß, vielleicht sogar mit Nynaeve al'Meara! Aber zuviel der Wahren Macht des Großen Herrn würde sie ebenso zerstören wie zuviel der Einen Macht, das spürte sie. Dieses Geschenk war ein zweischneidiges Schwert, erkannte sie einen Augenblick später, es war eine Qual, auch nur auf einen Hauch davon zu verzichten. Dennoch tat sie es und ließ die Wahre Macht von sich weichen in dem Wissen, dass sie ihr von nun an jederzeit zur Seite stehen würde.

Alviarin stand jetzt fast wieder vor ihrem Quartier und stellte fest, dass sie immer noch hungrig war und sich nichts zu essen geholt hatte, doch jetzt zu essen erschien ihr zu banal, um einen Gedanken daran zu verschwenden. Da bemerkte sie eine Novizin in der Nähe und glättete sofort ihre Züge.

„Was hast Du hier zu suchen!“ herrschte sie sie an.

„Verzeiht, Alviarin Sedai,“ antwortete das dumme Kind mit einem Knicks „aber ich muss dies hier für Beonin Sedai in die Küche bringen.“ Dann hob sie ein offensichtlich benutztes Tablett.

„Du heißt Nicola, nicht wahr, Kind?“ fragte Alviarin, die die Novizin mit dem erstaunlichen Potenzial erst jetzt erkannte.

„Ja, Aes Sedai. Ich sollte nicht trödeln, Aes Sedai.“ Ein weiterer Knicks, diesmal tief genug, dass das Tablett bedenklich schwankte.

Dumme Novizin, aber dieses Potenzial, was für ein Gewinn wäre sie für die schwarze Ajah! „Dann geh schon, Kind.“ sagte Alviarin so freundlich wie es einer Novizin gegenüber angebracht war. Schnell lief die Novizin Richtung Küche. War sie nicht auch aus dieser Richtung gekommen? Sie war sich nicht sicher.

Doch sofort verdrängte sie den Gedanken als unwichtig und begann zu planen. Sie würde nicht versagen, sie nicht.

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Ohne sich umzublicken, lief Nicola mit schnellen Schritten durch den verlassenen Korridor. Damit ihre Geschichte glaubhaft war, musste sie sofort das Tablett abgeben, sonst könnte jemand eine Verbindung vermuten, die gefährlich war.

Was hatte ausgerechnet Alviarin so sehr erfreut, dass sie lächelte? Und dieser Blick von Laras, der Herrin der Küche! Hass hatte darin gestanden, nur einen kurzen Moment lang, aber eindeutig. Purer Hass! Auf Alviarin, da war sie sich sicher. Es war reines Glück gewesen, dass sie die Herrin der Küche noch rechtzeitig wahrgenommen hatte, um nicht entdeckt zu werden. Das musste sie unbedingt der Amyrlin mitteilen, das war sicher wichtig. Wichtig genug, um die Ausrede durch Beonin Sedai zu rechtfertigen? Zu oft durfte sie sie nicht anwenden, davor hatte die Amyrlin sie ausdrücklich gewarnt. Hoffentlich hatte sie keinen Fehler gemacht, die Ausrede schon so schnell zu gebrauchen, doch das würde die Amyrlin schon zu beurteilen wissen.

Nachdem sie das Tablett los war, ging sie sofort in ihr Quartier und kritzelte den Bericht über ihre Entdeckung auf ein kleines Blatt Papier. Da ein Lauschschutz zu auffällig war, würde die Mutter die Nachricht gleich morgen früh zum Frühstück unter ihrem Teller finden, genau wie sie es ihr aufgetragen hatte.

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Nur mit Konzentration gelang es ihr, sich aufrecht zu halten und ein Gähnen zu unterdrücken, ein weiterer langer und mühseliger Arbeitstag lag hinter ihr. Wie in den vergangenen Tagen hatte Tarna bisher den ganzen Weg über geschwiegen. Egwene wusste nicht genau, warum Tarna sie immer selbst zu Elaida und zurück brachte, glaubte aber, dass es hauptsächlich Neugier war. Sie wunderte sich erneut, warum die Rote nicht einfach ein Gespräch anfing, war heute aber zu müde, darüber groß nachzugrübeln. Im Grunde war es auf diese Art sogar besser, immerhin ergab sich so keine Gelegenheit, sie zu Silviarin zu schicken, was andernfalls bestimmt geschähe.

Wie auch sonst immer, nahmen sie wieder die längere Strecke über die Dienstbotentreppe, aber warum? Auch das hatte sie gleich gewundert – und tat es noch. Das passte nicht zu der unerschrockenen Tarna Sedai, von der Nynaeve und Elayne ihr berichtet hatten, denn es war, als hätte Tarna Angst, die Quartiere der Ajahs zu betreten. Konnte es wirklich schon so schlimm um die Burg stehen, dass selbst die Behüterin der Chronik die Schwestern anderer Ajahs fürchtete? Immerhin war sie ganz alleine nach Salidar gegangen. Falls es tatsächlich so war, musste sie sich dringender denn je etwas einfallen lassen, um die Spaltung der Burg endlich zu überwinden. Es musste doch irgendeine Möglichkeit geben, mehr zu erreichen als bisher, es ging einfach nicht schnell genug voran.

„Worüber haben sie gesprochen, Kind?“ die Frage klang beiläufig und dennoch war Egwene überrascht, wenn auch nur kurz. Sprach Tarna nicht mit Elaida über so etwas? Interessant.

„Nichts von Belang.“ gab sie ruhig zurück. „Alte Geschichten von früher zumeist, kein Wort über Neuigkeiten, den Wiedergeborenen Drachen oder wenigstens die Seanchan. Elaida unterschätzt die Gefahr, ja, sie scheint sie nicht einmal zu bemerken.“ Das war gewagt, Tarna war immerhin die Behüterin der Chronik und Respektlosigkeiten von Novizinnen waren bei Tarna mehr als ungewöhnlich. Zumindest war Tarna eine der wenigen Aes Sedai, von denen Egwene recht sicher war, dass sie keine Schwarze Ajah war. Die Schwarzen hatten bereits mindestens einen Spion vor Ort gehabt, als Tarna in Salidar ankam, und auch sonst passte sie nicht so recht ins Bild. Vielleicht, dachte Egwene, ist es Zeit, mal ein kleines Risiko einzugehen. „Und die ganze Zeit über haben beide Wein getrunken, viel Wein. Zu viel Wein für jemanden mit Verantwortung in dieser Zeit.“

Als keine Antwort kam und auch das Gesicht der Roten keine Regung zeigte, wie sie aus dem Augenwinkel feststellte, fügte sie hinzu „Du hast den Mut einer Grünen gezeigt, als Du allein nach Salidar gingst, die Burg braucht Aes Sedai wie Dich, Tochter. Seit zwei Tagen habe ich keine Krähe und nur eine einzige Ratte gesehen.“ Auch dies deutete darauf hin, dass Tarna im Licht wandelte, die Augen des Dunklen Königs waren seit ihrer Ankunft fast verschwunden.

Auf die Reaktion ob ihrer Worte war sie nicht gefasst. Auch wenn sie nicht bei den Aiel gelernt hätte, selbst kleinste Regungen zu deuten, wäre ihr diese kaum entgangen. Für einen kurzen Moment stand ein Ausdruck auf Tarnas Gesicht, der wie eine Mischung aus Schrecken und Schuldbewusstsein wirkte. Sie kam sogar ein wenig aus dem Tritt, wie Egwene bemerkte, der Schritt verriet manchmal mehr als das Gesicht, auch das hatte sie bei den Aiel gelernt. Dann hatte sie sich wieder in der Gewalt. Und dennoch, Tarna war nicht dafür bekannt, die Fassung zu verlieren und genau das war anscheinend gerade passiert, aber warum? War es die Erwähnung der Grünen Ajah oder Salidars gewesen, die diese Reaktion ausgelöst hatte? Doch alles, was Tarna sagte, war nur ein ruhiges „Das genügt, Kind.“

Egwene wusste selbst nicht genau, warum, doch ein Gefühl ließ sie weitersprechen: „Es ist weit mit der Burg gekommen, wenn sogar die Behüterin der Chronik Angst hat, die Quartiere der Ajahs zu betreten.“ Die einzige Reaktion bestand in einem kurzen Stirnrunzeln. „Ich werde die Burg wieder erstarken lassen, stärker als je zuvor, darauf hast Du mein Wort als Amyrlin, Tochter.“ Sie blieben jetzt beide stehen und Egwene blickte stetig in Tarnas strahlend blaue Augen. Jetzt waren keine Gefühle mehr hinter dieser Maske der Gelassenheit zu erkennen, aber sie machte weiter. „Ich werde einen Weg finden, die Burg von dem Schatten zu befreien, der sie zu verschlingen droht. Ich werde sie auch vor den Seanchanern verteidigen und Wege finden, dass jede Frau, die die Macht lenken kann, mit der Burg verbunden ist. Wir werden Weise Frauen der Aiel hier haben, die sogar Sereille Bagand wie ein schüchternes Mädchen erscheinen lassen würden. Windsucherinnen des Meervolks können uns zeigen, wie man Stränge aus Luft webt, die hundertmal mächtiger sind als die, die wir hier kennen. Einige freie Machtlenkerinnen lassen die Heilfähigkeiten der Gelben wie Stümperei erscheinen und sie zumindest werden sich uns zum größten Teil bereitwillig anschließen, wenn wir ihnen nur die Hand reichen. Ich habe nicht vor, den Status einer Aes Sedai zu schwächen, Tochter, wir dürfen die Anforderungen nicht herabsetzen, doch zumindest ein Anschluss an die Weiße Burg im Rahmen des Burggesetzes mit beiderseitiger Verpflichtung für jede einzelne Machtlenkerin muss erreicht werden. Ich werde verhindern, dass noch mehr unschuldige junge Frauen durch Unkenntnis ihrer Fähigkeiten sterben und andere von den Seanchan versklavt werden.“ Gelassen blickte Egwene in Tarnas Gesicht, als sie ihre kleine Ansprache beendet hatte. Sie hatte eigentlich garnicht vorgehabt, so viel zu sagen, aber irgendwie waren die Worte förmlich aus ihr herausgeströmt.

Mit unbewegter Stimme antwortete die Aes Sedai: „Ab in Dein Quartier, Kind, ich habe schon genug Zeit mit Dir vertrödelt. Richte der Herrin der Novizinnen aus, dass sie Dich für Respektlosigkeit gegenüber der Behüterin der Chronik bestrafen soll. Und jetzt geh!“ Damit kehrte sie abrupt um und ließ eine verblüffte Egwene einfach alleine im Treppenhaus stehen.

Fünf Minuten später, als sie gerade unter ihre Bettdecke kroch, wunderte sich Egwene immer noch über dieses ungewöhnliche Verhalten, sie einfach auf der Treppe stehen zu lassen, war sie doch sonst praktisch immer unter Bewachung. Sie musste einen Nerv bei Tarna getroffen haben. Da Tarna nicht gesagt hatte, dass sie noch heute zu Silviarin gehen sollte, war sie direkt auf ihr Zimmer gegangen, morgen früh konnte sie sich immernoch die Strafe für ihr loses Mundwerk abholen. Zum ersten Mal, seit sie wieder in der Burg war, hatte sie fast den Eindruck, zu Recht zur Herrin der Novizinnen geschickt zu werden. All das Gerede über die Windsucherinnen, die Kusinen und besonders die Weisen Frauen war alles andere als wohlüberlegt gewesen. Egwene seufzte leise. Vermutlich lag es einfach daran, dass es in der Burg niemanden gab, mit dem sie offen reden konnte. Und daran, dass sie so müde war, fügte sie in Gedanken hinzu, als sie ein weiteres Gähnen unterdrückte. Dennoch würde sie sich in Zukunft besser beherrschen müssen. Die Reaktionen der Roten Schwester auf das Gesagte gaben ihr Rätsel auf, aber vielleicht konnte Siuan sich einen Reim darauf machen.

Diese Geschichte zwischen Elaida und Meidani war ebenfalls sehr merkwürdig. Elaida mochte jetzt, da sie von den zehn Rebellen in der Burg wusste, ja versuchen, Informationen über die Rebellen zu sammeln, das war anhand ihrer Fragen ziemlich eindeutig. Es war dabei natürlich praktisch, dass Meidani kaum Informationen besaß, soweit Egwene wusste, Elaida würde eine ziemliche Enttäuschung erleben, falls sie mit wichtigen und aktuellen Details über die Rebellen rechnete. Doch welchen Grund hatte Meidani, sich dieser Befragung auszusetzen? Egwene konnte beim besten Willen keinen Grund erkennen, aus dem sie dieses Risiko jetzt noch freiwillig eingehen sollte, wie es fast den Anschein hatte. Ihre Fragen blieben im Gegensatz zu Elaidas so vage, dass keinerlei Richtung dabei erkennbar war. Doch vielleicht würde sie morgen mehr erfahren, schließlich hatte sie bis auf weiteres jeden Abend die zweifelhafte Ehre, beiden den Wein einzuschenken.

Sie brauchte jetzt wirklich Schlaf. Leider war für echten Schlaf zu viel zu tun und sie begab sich nach Tel'aran'rhiod. Vielleicht fand sie ja dort eine Möglichkeit, ihr Vorankommen etwas zu beschleunigen. Vielleicht fiel ja auch Siuan etwas Sinnvolles ein, hoffentlich war sie schon am Treffpunkt.



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