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Dunklere Gewebe


Innerlich mürrisch und besorgt aber äußerlich unbewegt sah sie zu, wie der Junge in dem schwarzen Umhang mit den goldbestickten Aufschlägen sich abwandte und dann mit energischen Schritten den Raum verließ. Sie hatte ihm geraten, sich der Verlorenen nicht mehr zu nähern, aber er hatte den Rat ignoriert und war dennoch wieder hier aufgetaucht, was hatte er erwartet, dass sie ihm plötzlich seine Fragen beantwortete, nur weil er ein paar Andeutungen über ihre Vergangenheit machte? Stattdessen hatte sie ihn verspottet, wie sie es jedes Mal tat, und ihn Lews Therin genannt, was der Junge beständig ignorierte.

Cadsuane überlief ein kalter Schauer, als erneut die Vermutung, er habe es wirklich nicht bemerkt, in ihre Gedanken drang, wie weit war er wirklich noch Rand al'Thor? Er hatte Dinge über Semirhage gesagt, die er unmöglich wissen konnte, aber Lews Therin hatte sie sicherlich gewusst. Der Moment, in dem der Geist des Jungen vom Geist des Brudermörders vollkommen übernommen wurde, war der Moment, in dem die Letzte Schlacht verloren war, das wusste sie. Sie hatte gehofft, jetzt, wo der Makel auf Saidin verschwunden war, würde er sich erholen, aber das Gegenteil schien der Fall zu sein.

Semirhage lachte, als der Junge die Tür mit der Hand öffnete, statt die Eine Macht dazu zu verwenden. Sie selbst erinnerte sich lebhaft an die stürmische Art, in der er zu Beginn noch Saidin verwendet hatte, wo er jetzt wann immer möglich darauf verzichtete. Es war ein Jammer, dass er sich ihr nicht anvertraute, auch wenn sie einsah, dass er es nach dem, was er erlebt hatte, wohl nicht mehr konnte, sie wusste trotz allem, was sie erfahren hatte, bei Weitem nicht genug über das, was mit ihm passierte.

Statt einer Aufforderung, still zu sein, knebelte sie die Verlorene kurzerhand. Das Lachen ging ihr auf die Nerven und sowohl Fragen als auch Anweisungen ihrerseits oder auch von jedem sonst wurden von der ungewöhnlich großen Frau einfach ignoriert.

Weitere Stränge aus Saidar wickelten sich so um die Verlorene, dass sie nichts mehr mitbekäme, und sie blickte ruhig hinüber zu der Braunen, die sie erstaunlicherweise nicht einmal um Erlaubnis gebeten hatte, bevor sie die Stränge wob. „Wie lange wird er noch er selbst sein?“ hörte sie sie murmeln, während sie scheinbar gedankenverloren die Tür musterte, die der Junge verblüffend leise geschlossen hatte. Er hatte sich trotz allem gut unter Kontrolle, wenn er auf solche Feinheiten zu achten im Stande war. Jedes Anzeichen von Wut wäre ein Sieg für Semirhage und er musste das wissen. Eine Weile wartete sie auf weitere Kommentare der leise vor sich hin murmelnden Braunen, bevor sie selbst das Wort ergriff.

„Wenn Du etwas sagen willst, Verin, dann tue es, aber wenn nicht, dann lass mich jetzt die Befragung fortsetzen.“ Sie deutete auf die gefesselte Verlorene und die Angesprochene blinzelte.

„Ja, natürlich, Cadsuane, bitte verzeih, ich war ganz in Gedanken. Ich dachte nur, dass wir vielleicht über die Bedingungen der Befragung noch einmal sprechen sollten. Wie es zurzeit steht, erfahren wir praktisch nichts und ich sehe nur zwei Möglichkeiten, das zu ändern.“ Sie zeigte ein entschuldigendes Lächeln, bevor sie fortfuhr. „Entweder, wir verwenden bei ihr Zwang und brechen das Burggesetz, weil es uns notwendig erscheint, oder wir akzeptieren die Bedingung, die sie uns genannt hat. Natürlich könnten wir sie auch nach Tar Valon bringen, was sicherlich nach dem Burggesetz das Naheliegendste wäre, oder das Urteil über sie hier und jetzt vollstrecken, aber dadurch würden wir überhaupt nichts in Erfahrung bringen.“

Es stand völlig außer Frage, die Verlorene an diese Närrin Elaida auszuliefern, und sie zu töten kam aus anderen Gründen nicht in Betracht, auch wenn sie lieber nicht darüber sprach, manche Dinge waren zu gefährlich, um sie auch nur zu erwähnen. Vielleicht wusste Verin, warum sie sich gegen eine Hinrichtung ausgesprochen hatte, aber vielleicht auch nicht. Je weniger Leute erfuhren, was sie vermutete, desto besser. Zwar sah sie ein, dass Verin vermutlich Recht hatte, aber keine der anderen Möglichkeiten war sonderlich verlockend – um es vorsichtig auszudrücken. Es würde interessant sein, welche der Möglichkeiten die Braune bevorzugte, also fragte sie sie.

Verin wirkte nicht sehr von sich überzeugt, antwortete aber ohne zu zögern. „Sollten wir den Zwang einsetzen, verletzen wir direkt das Burggesetz und ich sehe keine Möglichkeit, dies irgendwie in einem positiven Licht erscheinen zu lassen, selbst wenn wir ihr die Erinnerung daran wieder nehmen. Falls wir dazu überhaupt in der Lage sind.“

Als sie auf die versteckte Frage nicht reagierte, fuhr Verin fort. „Natürlich wüssten dann nur wir beide vom Einsatz des Zwangs - sofern wir nicht dabei überrascht werden, was leider nur allzu wahrscheinlich ist, außer den Dienern macht sich ja kaum jemand die Mühe, anzuklopfen. Es wäre außerdem verdächtig, dass wir plötzlich so viel erfahren, selbst wenn wir nicht alles weitergeben, was sie uns verraten würde. Nein, ich glaube nicht, dass Zwang in Frage kommt.“

„Du schlägst also vor, dass wir auf ihr Angebot eingehen.“ stellte sie fest.

Die Braune nickte ernst. „Das scheint mir der einzige Weg zu sein.“ Als sie selbst daraufhin die Stirn runzelte, fügte Verin hinzu: „Letztendlich ist es bloß ein Name.“

Cadsuane schnaubte. „Bloß ein Name, Blut und Asche, Verin, es ist, als hätte sie schon halb gewonnen!“ Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme einen scharfen Klang annahm und versuchte es auch garnicht. „Ich werde das nicht tun, klar?!“

„Aber ich.“ erklärte Verin ruhig. „Weil ich es für notwendig halte, werde ich es tun.“ Bevor sie Gelegenheit zu einem strengen Einwand fand, fuhr die Braune gelassen fort. „Wenn Du es nicht erlaubst, frage ich den Jungen, Cadsuane.“

War die Frau verrückt geworden? Der Junge würde… Widerwillig erkannte sie, dass er es vermutlich tatsächlich erlauben würde, er gierte förmlich nach Wissen. Und er hatte damit in gewisser Weise recht, jede noch so kleine Information konnte für ihn lebenswichtig sein. Ja, der Junge würde es zweifellos erlauben. Aber zugleich war es etwas anderes, das sie beschäftigte, denn mit diesem einen Satz stellte Verin klar, dass sie ihren Eid dem Jungen gegenüber höher bewertete, als Verpflichtungen gegenüber ihr oder vielleicht sogar der Weißen Burg. Wenn sie tatsächlich zuließ, dass sie den Jungen fragte, würde ihre Autorität ihm gegenüber einen herben Rückschlag erleiden. Der scharfe Blick, den sie für einen Augenblick von Verin auffing, sagte ihr, dass die kleine pummelige Frau das wusste. Hatte sie selbst bisher unangefochten das Kommando geführt, welcher Aes Sedai sie auch begegnete, so hatte Verin jetzt zumindest gleichgezogen, was eigentlich unmöglich sein sollte. In Zukunft würde sie versuchen müssen, die Braune Schwester möglichst von dem Jungen fernzuhalten, er musste ganz auf sie angewiesen sein und auf niemanden sonst. Der Angriff war aus einer unerwarteten Richtung gekommen, aber es war nicht mehr zu ändern. Zumindest was Verin anging, war ihre Autorität an ihre Grenze gestoßen, es brachte nichts, sich darüber zu ärgern. Nur würde sie in Zukunft noch vorsichtiger bei der Braunen sein müssen, die Frau wusste einfach zu viel.

„Aber nicht allein.“ stimmte sie notgedrungen zu. „Ich werde immer dabei sein, verstanden?“

„Natürlich, Cadsuane.“ Der überrascht klingende Tonfall konnte sie jetzt nicht mehr täuschen, für einen Moment hatte sie einen Blick auf den eisernen Kern hinter dieser verwirrten Fassade werfen können, und es hatte ihr nicht gefallen. Sie löste ihren Knebel und Verin die Fesseln. Dunkle Augen blickten ihnen spöttisch entgegen.

„Wir wüssten gerne mehr über Euren Aufenthalt bei den Seanchan, Auserwählte.“

Mühsam hielt sie beim freundlichen Klang dieser Worte ihre Miene gelassen, während sie innerlich erneut erschauderte. Die Verlorene nickte Verin lächelnd zu.

„Also nimmt zumindest eine von euch mein Angebot an. Na schön, ein gepflegtes Gespräch über die sonderbaren Sitten der Seanchan, dürfte zumindest ganz interessant werden. Warum schenkt Ihr mir keinen Tee ein, während ich erzähle, Verin?“ Die Braune tat es und die Verlorene begann zu berichten. Cadsuane ließ ihren Tee lieber kalt werden, als ihn unter diesen Umständen zu trinken – ihr Magen fühlte sich an, als lägen Steine darin; große, kantige Steine. Sie musste zugeben, dass Verins Nachgeben ihnen einige Informationen einbrachte, aber sie fragte sich, ob es den Preis wert war.

Trennlinie

Diese verdammten Hosen saßen viel zu eng! Mürrisch fragte sie sich, warum sie ausgerechnet auf den Gedanken verfallen war, sich als Jägerin des Horns zu tarnen. Dann verscheuchte sie den Gedanken, ihre Befehle waren eindeutig: Sie durfte Caemlyn nicht verlassen. Eine Tarnung war so gut, wie die andere, außerdem hatte sie als Jägerin die besten Chancen, in die Garde aufgenommen zu werden. Sie konnte sogar behaupten, sich an einige der Frauen von Illian her zu erinnern, die jetzt Mitglieder von Elaynes Leibgarde waren, auch wenn darin ein gewisses Risiko lag, denn einige der Geschichten, die sie aufgeschnappt hatte, mochten übertrieben oder auch gelogen gewesen sein.

Der „Große Ritter“ war eine recht gemütliche Schenke, aber nach dem Aufenthalt im Palast wirkte ihr Zimmer ohne jegliche goldverzierte Schnörkel trotz des großen Spiegels, in dem sie gerade ihre Aufmachung kontrollierte, klein und karg. Jaem saß, mit einem umgekehrten und abgebundenen Gewebe bis zur Unkenntlichkeit getarnt, auf einem der beiden gepolsterten Stühle, die ihr hier zur Verfügung standen, und sie konnte seine Unzufriedenheit deutlich spüren, auch wenn er schon bei Weitem zu lange Behüter war, um sich davon etwas anmerken zu lassen. Wenn es nach ihm ginge, hätten sie die Stadt im Zuge des Chaos, das auf die Schlacht in Niedercaemlyn gefolgt war, unbemerkt verlassen, um woanders dem Großen Herrn zu dienen. Natürlich wusste er es besser, als dass er ihrer Entscheidung widersprochen hätte, aber seine Unzufriedenheit ging ihr auf die Nerven. Vielleicht war es besser, ihn zumindest ein wenig von dem wissen zu lassen, was sie plante, eine solche Ablenkung konnte sie jetzt bestimmt nicht gebrauchen.

Die Frau, die ihr aus dem Spiegel entgegen blickte, erinnerte kaum noch an ihr vorheriges Aussehen, stellte sie zufrieden fest, niemand würde dazu in der Lage sein, sie zu erkennen. Die zu enge, aber ansehnliche Hose war in einem hellen Rotton gehalten, genau wie ihre Jacke mit den silbernen Knöpfen und gleichfalls silbergewirkten Stickereien an den Aufschlägen. Dagegen wirkten ihre braunen Stiefel abgenutzt, wie von einer langen Reise. Ihre Fähigkeiten mit den teuren verzierten Dolchen, die sie in schlichten Scheiden an jeder Seite trug, waren annehmbar genug, dass sie glaubhaft wirken würde, längst nicht alle Jäger trugen ein Schwert. Ihr dunkelblondes Haar würde sie regelmäßig nachfärben müssen, damit das ursprüngliche Grau nicht durchkam, aber das stellte wohl kaum ein Problem dar, das Färbemittel, welches sie sich besorgt hatte, sollte noch Monate reichen und es gab niemanden, der darüber Auskunft hätte geben können, dafür hatte sie gesorgt. Sie wäre nicht mehr am Leben, wenn sie nicht dazu in der Lage wäre, vorsichtig zu sein, vorauszuplanen und auch scheinbare Hindernisse in einen Vorteil zu verwandeln. Das Gesicht im Spiegel wirkte, als sei es in mittleren Jahren. Damit war sie zwar ungewöhnlich alt für eine Jägerin, aber eine stärkere Veränderung wollte sie nicht riskieren. Die Nase etwas kleiner und die Wangenknochen etwas ausgeprägter, ja, sie sah eindeutig besser aus, als vorher, aber nicht zu sehr, schließlich wollte sie nicht auffallen. Sie wob das Gewebe, welches ihre Stimme weicher erscheinen ließ, niemand außer einer Schwarzen Ajah würde dazu in der Lage sein, seine Stimme so effektiv zu verstellen, also bestand keine Gefahr, dass jemand im Palast darauf käme. Gewebe, die man in den eigenen Körper legen konnte, waren im Licht wandelnden Schwestern unbekannt. Sie kehrte auch dieses Gewebe um und band es ab, bevor sie Saidar losließ und sich an ihren Behüter wandte.

„Zweifelst Du etwa an meiner Entscheidung?“ Ihr Lächeln konnte ihn genausowenig täuschen, wie ihre scheinbar sanfte Stimme. Der Ärger, den er empfand, war stark, aber er kannte sie zu gut, um seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Sie selbst war kaum weniger ärgerlich, wenn sie ehrlich war, schließlich war es nicht einmal ihre Entscheidung gewesen, die zu ihrem Bleiben geführt hatte, sondern die des Großen Herrn – übermittelt von einer der Auserwählten und auf erschreckend eindringliche Art und Weise.

„Dem verdammten Kind ist die Flucht gelungen.“ Seine Stimme klang unbewegt, aber sie wusste es besser. „Es ist viel zu riskant, hier zu bleiben, geschweige denn, sich dem Palast zu nähern, Va...“ Er verstummte und Angst stahl sich in das Bündel aus Gefühlen in ihrem Kopf, sie hatte ihn deutlich darauf hingewiesen, was sie mit ihm machen würde, sollte er sich noch einmal versprechen. Er musste für so einen groben Schnitzer noch aufgewühlter sein, als sie angenommen hatte, er hielt seine Gefühle gut im Zaum. Vandene Sedai war tot, und er tat besser daran, das nicht zu vergessen.

„Unsinn.“ stellte sie gelassen fest. „Niemand wird mich erkennen, ich werde die perfekte Jägerin des Horns geben. Wenn es mir gelingt, in Elaynes Leibwache aufgenommen zu werden, woran ich keinen Zweifel habe, bin ich in genau der richtigen Position, um wieder Einfluss auf das Geschehen zu gewinnen.“ Sie würde ihm nicht mehr sagen, aber es schien zu genügen, er wurde spürbar ruhiger. „Wenn Du diesen Raum verlässt, werde ich sehr unzufrieden sein, Jagarin.“ Sie legte besondere Betonung auf den falschen Namen, an den er sich vorerst gewöhnen musste. „Mache jetzt keinen Fehler.“

Er nickte mürrisch und sie ging wortlos zur Tür. Es war nicht nötig, ein Schutzgewebe zu errichten, Jaem würde als Schutz ihrer Privatsphäre vollkommen ausreichen. Außerdem würde sie auf den Gebrauch der Einen Macht sowieso verzichten müssen, sobald sie im Palast war, es schadete nicht, wenn sie auch in ihrem Quartier etwas Vorsicht walten ließ, es bestand immer die Gefahr, dass eine Machtlenkerin sich auf der Straße aufhielt und das Lenken der Macht bemerkte. Die Tarngewebe brauchten so wenig Saidar, dass es ausreichend sicher schien, sie anzuwenden, aber Schutzgewebe waren deutlich stärker.

„Ich hätte nicht gedacht, dass Du das wirklich tust, Lekura.“ Sie hielt inne, die Hand schon auf dem Türknauf.

Es war nicht nötig, zu fragen, was er meinte. Innerlich erstarrte sie, obwohl sie sich der Notwendigkeit ihrer Tat absolut sicher war, nagte der Mord an ihrer Schwester noch immer an ihr. Adeleas war der Wahrheit schließlich doch noch zu nahe gekommen und sie hätte nicht geschwiegen. Dabei lief zuerst alles so gut, sie hatte dafür gesorgt, dass „aus Sicherheitsgründen“ nur Bruchteile von Ispans Informationen an die übrigen weitergegeben wurden. Dann war passiert, was sie so lange gefürchtet hatte, nur ein einziges unbedachtes Wort zur falschen Zeit und sie wusste, Adeleas hatte endlich verstanden, was sie war, es war reines Glück gewesen, dass sie selbst zu der Zeit den Zirkel geleitet hatte. Jaem hatte sich bisher jeden Kommentars zu diesem Thema enthalten, sie fragte sich, warum er ausgerechnet jetzt darauf kam und beschloss, eine direkte Antwort zu umgehen.

„Jeder von uns dient dem Großen Herrn auf seine Weise. Meine Position ist hier in Caemlyn. Ich kenne alle im Palast gut genug, um jeden täuschen zu können und niemand wird auch nur auf die Idee kommen, ich könnte noch leben.“ Er erwiderte ihren strengen Blick über die Schulter mit einem knappen Nicken. Sie spürte, dass er verstanden hatte. Dieses Thema anzusprechen, war gefährlich, und sie fühlte deutlich seine Angst angesichts ihrer Reaktion darauf. Ihn zu bestrafen, war nicht mehr so unterhaltsam für sie wie früher, dafür hatte er zu oft ihre Haut gerettet, aber sie würde keine Herausforderung ihrer Autorität durchgehen lassen. Er würde schweigen und gehorchen, wie er es immer getan hatte – oder die Konsequenzen dafür tragen. Es kam ihr nach all den Jahren noch immer seltsam vor, aber sie konnte zumindest diesem Freund der Dunkelheit bedingungslos vertrauen, schließlich war er ihr Behüter und sie kannte ihn besser, als er sich selbst. Manche Schwarze Schwestern machten Männer zu ihren Behütern, die im Licht wandelten, aber sie selbst hatte immer Wert auf die richtige Gesinnung bei ihren Behüter gelegt. Jeglichen Gedanken an ihre tote Schwester hatte sie längst wieder verdrängt.

Als sie wenig später in der lauen Luft eines überraschend warmen Frühlingsmorgens durch die überfüllten Straßen der Hauptstadt Andors schritt, gratulierte sie sich selbst erneut zu ihrem Tod. Keine der anderen Schwarzen hatte ihre Anweisungen missachtet, auch wenn natürlich keine von ihnen sie verstanden hatte. Jaem mit ihren sorgsam vorbereiteten Befehlen voraus zu schicken, war ebenso einfach wie genial gewesen, ihr falscher Tod so überzeugend, dass diese Närrin Elayne vermutlich nicht einmal glauben würde, Vandene Sedai gegenüber zu stehen, wenn sie ihre Maske fallenließe. Statt wie seit langen Jahren gewohnt ein Lächeln zu unterdrücken, ließ sie es heraus. Eine fröhliche Frau würde im Palast weniger auffallen, als eine, die ständig nur die gelassene Miene einer Aes Sedai zur Schau trug. In gewisser Weise war sie jetzt wohl tatsächlich auf der Jagd, überlegte sie belustigt, also war sie wohl tatsächlich eine waschechte Jägerin - wenn auch nicht nach dem Horn von Valere.

Amüsiert bemerkte sie, wie einige Männer ihr Lächeln im Vorbeigehen hoffnungsvoll erwiderten, aber sie schenkte dem keine Beachtung, sie waren bedeutungslos. Bald erreichte sie den Platz vor dem Palast, es herrschte genug Betrieb, dass sie nicht besonders auffiel, während sie sich möglichst beiläufig an einer langen Reihe von Marktständen umsah, die erst in den letzten Tagen hier aufgebaut worden waren. Es gab jetzt so viele Menschen in der Stadt, dass dieser Platz sich sowieso in eine Art Handelsplatz verwandelt hatte, und diese Stände lagen dem Tor des Palastes gegenüber, so dass es weitgehend frei blieb. Zahlreiche Gardisten hielten hier die Ordnung aufrecht und Vandene musste zugeben, dass die Vielfalt der angebotenen Waren sie erstaunte.

Jedoch wartete sie kaum seit einer halben Stunde, als sie eine Reihe von Gardisten bemerkte, die sich dem Palasttor von Westen her näherte. Rasch ließ sie das schlanke Seidentuch fallen, das sie mit falschem Interesse gemustert hatte und schob sich durch die Menge in Richtung des Tors, endlich war ihre Chance gekommen. Die ersten Gardisten traten bereits durch das Tor, als sie sich den Nachzüglern anschloss. Wie erhofft, wandte sich niemand nach ihr um und auch die Wachen schenkten ihr keinen zweiten Blick. Ihre Kleidung ähnelte nicht zufällig den Uniformen, auch wenn sie keinen Harnisch trug, fiel sie kaum auf. Die Besuche in der Schwarzen Burg fanden so regelmäßig statt, dass man beinahe seine Uhr danach stellen konnte, es rechnete aber trotzdem niemand damit, dass dies ausgenutzt wurde, genau darauf hatte sie gehofft. Mit ihrer Hose sah sie kaum weniger weiblich aus, als sonst in ihrer Verkleidung, aber dem flüchtigen Blick der Wachen fiel sie nicht weiter auf.

Sobald sie im Palast war, ließ sie sich etwas zurückfallen und trat dann in einen Korridor zu ihrer linken, als hätte sie jedes Recht, sich dort aufzuhalten. Es konnte nicht lange dauern, bis jemand sie auffordern würde, ihre Anwesenheit zu erklären – hatte sie gedacht. Natürlich musste sie ihre Rolle spielen, daher hatte sie ein paar glaubwürdige Ausreden parat, wann immer jemand sie ansprach, aber nach einer guten Stunde des Wanderns durch den Palast und des Stöberns in Privaträumen und jeder Ecke, die ihr einfiel, verlor sie die Geduld und näherte sich den Quartieren dieser seltsamen Birgitte. Das war zwar etwas auffällig, aber Dutzende von Dienern und auch einige der Kusinen konnten bestätigen, sie an einem Dutzend verschiedenen Orten innerhalb des Palastes gesehen zu haben.

Zu ihrer Freude fand sie das eher schlicht eingerichtete Quartier der Behüterin der Königin – jetzt konnte es daran keinen Zweifel mehr geben – leer vor und machte sich daran, es ungeniert zu durchstöbern. Mehr über diese rätselhafte Frau zu erfahren – war sie vielleicht tatsächlich die legendäre Heldin? Das schien einerseits völlig unmöglich, aber es schien andererseits die einzige Erklärung für eine Reihe von Dingen zu sein, die sie von der Frau gehört hatte – wäre in jedem Falle nützlich. Leider gab es hier kaum etwas zu erfahren, es gab praktisch keine persönlichen Gegenstände. Nachdenklich wog sie den Bogen in der Hand, der an einer der Wände gehangen hatte, als die Tür aufging. Ohne der eintretenden Frau zunächst Beachtung zu schenken, hängte sie den Bogen wieder an ihren Platz und steckte auffällig das Tuch ein, das sie die ganze Zeit über in der Hand gehalten hatte. Für eine Dienerin war sie zu auffällig gekleidet, aber es wäre ausreichend glaubwürdig, so zu tun, als wüsste sie das nicht.

„Wer seid Ihr? Und was habt Ihr, verflucht nochmal, in meinem Zimmer zu suchen?“

„Ich habe nur etwas Staub gewischt.“ gab sie zurück. „Wenn Ihr erlaubt, mache ich jetzt woanders weiter und störe Euch nicht länger.“ Sie wandte sich ruhig zum Gehen, aber natürlich kam sie damit nicht durch, nicht hier. Mit einem raschen Satz war die Frau mit dem lächerlichen Brustharnisch für Frauen, den auch sie vermutlich bald tragen würde, bei ihr und hielt ein Messer an ihre Kehle. Die Frau war schnell, vielleicht soger schneller als sie selbst. Sie achtete sorgfältig darauf, dass ihre Hände nicht in die Nähe ihrer Dolche gerieten, sie war nicht hier, um zu kämpfen.

„Du bist keine Dienerin, wer verdammt nochmal bist Du? Ich habe Dich noch nie hier gesehen.“ Dass die Frau auch mit jedem Satz fluchen musste!

Es stand außer Frage, jetzt Nerven zu zeigen, also ließ sie ihre Stimme nur einen Hauch verunsichert klingen, als sie die Gelegenheit nutzte, um bezüglich der Identität der rätselhaften Frau sicherzugehen: „Wenn Ihr es unbedingt wissen müsst, ich bin Hagara Neglaine, eine Jägerin des Horns. Könntet Ihr vielleicht Eure Klinge von meinem Hals nehmen, wenn es keine zu großen Umstände macht?“

Wie sie halbwegs erwartet hatte, presste die Frau ihr Messer noch fester an ihre Kehle und fluchte ziemlich derb. „Hagara Neglaine starb vor über fünfhundert Jahren in der Großen Fäule, wer seid Ihr wirklich?“ Also war sie tatsächlich die Heldin der Legenden, erstaunlich! Selbst unter den Braunen hatten die meisten diesen Namen sicherlich noch nie gehört.

„Es ist der Name, den ich als Jägerin annahm.“ gab sie zurück, die Stimme etwas unterwürfiger und nachgiebiger, jetzt kam es auf jede Feinheit an. „Eigentlich heiße ich Lekura Banashar, aber dieser Name hat mir nie sehr gefallen.“

Birgitte schnaubte, es war nicht auszumachen, ob aus Ärger oder aus Erheiterung. „Und warum bist Du hier in meinem Zimmer?“ Der Druck an ihrem Hals nahm etwas ab, anscheinend schwand das Misstrauen der Frau langsam.

„Ich suche das Horn von Valere, irgendwo muss es doch sein, warum nicht in diesem Palast?“ Das war natürlich ungenügend, der Druck wurde wieder stärker. „Lasst es mich bitte erklären! Ich bin seit fast einer Woche in der Stadt, habe aber noch keine Hinweise finden können.“ Dass es ihr angeblich gelungen war, während der Belagerung in die Stadt einzudringen, sollte für etwas Respekt sorgen. Sie hatte eine glaubwürdige Geschichte dafür, wie ihr das gelungen sei, parat. „Dann hörte ich ein Gerücht, dass sich im Palast die Korridore verändern, manchmal welche verschwinden oder auftauchen, da wurde ich neugierig. Was, wenn ein völlig neuer Korridor auftaucht, an dessen Ende das Horn auf mich wartet? Was, wenn ich ich die erste bin, die einen völlig neuen Raum entdeckt, der vielleicht seit dem Bau des Palastes unberührt war, und der zumindest einen Hinweis auf das Horn enthält? Das Horn von Valere muss gefunden werden, jeder, der Augen im Kopf hat, weiß, dass die letzte Schacht näher kommt, das müsst Ihr doch auch wissen. Der Drache wandelt wieder unter uns!“ Auf diese mit recht aufgeregter Stimme vorgetragene Rede folgte ein kurzer Moment des Schweigens.

„Wie lange bist Du schon hier im Palast?“ fragte Birgitte schließlich nachdenklich, es war fast geschafft.

„Seit ein oder zwei Stunden.“ gab sie wahrheitsgemäß zurück und der Druck an ihrem Hals nahm wieder ab.

„Und wie bist Du reingekommen?“

„Mit einer Gruppe von Gardisten. Ich bin einfach hinter ihnen hereinmarschiert, und habe mich dann in einen Seitengang abgesetzt. Niemand hat mich weiter beachtet, weil meine Bekleidung den Uniformen ähnelt.“ Das letztere wusste Birgitte auch selbst, aber es war besser, so zu tun, als würde sie sie unterschätzen.

„Und niemand wollte von Dir wissen, was Du hier zu suchen hast?“

„Ein paar schon, Diener größtenteils. Ich konnte sie aber abwimmeln – bis auf Euch jedenfalls. Darf ich fragen, wie Euer Name lautet, Ihr seid schnell mit der Klinge, vielleicht habe ich schon von Euch gehört.“ Ein Kompliment wirkte manchmal Wunder und der dezente Hinweis, die andere sei unhöflich, weil sie sich nicht vorgestellt habe, zeugte von Selbstsicherheit.

Nach einem weiteren Moment des Schweigens nannte Birgitte ihren Namen und schnell warf sie einen auffälligen Blick auf den Bogen, den sie eben noch in der Hand gehalten hatte, das konnte der Frau unmöglich entgehen. „Ein großer Name“ gab sie mit zweifelnder Stimme zurück „wart Ihr auch eine Jägerin des Horns, bevor Ihr hier in Caemlyn hängen geblieben seid, Birgitte?“ Die Frau konnte unmöglich ahnen, dass ihre Identität jetzt aufgedeckt war. Es würde ihr sicherlich missfallen, wenn sie darauf herumritt, also entschied Vandene rasch, den Namen stets mit leichter Herablassung in der Stimme zu gebrauchen. Das würde sie sicherlich überzeugen, dass ihre Identität zumindest von ihrer Seite ungefährdet war.

„Vielleicht, aber das geht Dich nichts an.“ kam es barsch zurück, aber das Messer an ihrer Kehle verschwand.

Sie trat ruhig einen Schritt zurück und musterte ihr Gegenüber, als hätte sie zuvor nur einen vagen Blick auf sie geworfen. Sie hob ihre Brauen um eine Winzigkeit, als ihr Blick an den vier goldenen Sternen auf deren Schulter kurz verharrte, dass sollte ausreichen, um Überraschung vorzutäuschen. „Was habt Ihr jetzt mit mir vor, Generalhauptmann?“ fragte sie dann ruhig.

„Ich sollte Dich ins tiefste Verließ werfen und den Schlüssel vergessen!“ kam es streng zurück.

„Aber das werdet Ihr nicht tun, oder?“ Die Gewissheit in ihrer Stimme war unecht, anders als die Hoffnung, die darin mitschwang, hatte sie sich getäuscht? Sie ließ mühsam ein leichtes Lächeln aufblitzen, jetzt wurde es ernst. Ihre Erleichterung war beträchtlich, als die Frau trocken auflachte.

„Vermutlich nicht. Hast Du je darüber nachgedacht, in die Garde einzutreten?“ Ja! Es war geschafft, diese Auserwählte namens Cyndane, die sie in ihren Träumen besucht hatte, würde mit ihr zufrieden sein!

„In die Garde? Eher nicht, ich dachte eher daran, das Horn zu finden.“ Sie ließ es vorsichtig ironisch klingen, sie musste in ihrer Rolle bleiben, das war jetzt am Wichtigsten.

„Es ist nicht in Caemlyn, darauf hast Du mein Wort, aber es gibt hier auf andere Art großen Ruhm zu gewinnen.“ Wie konnte sie das wissen? fragte Vandene sich überrascht und ließ durch ein ungewolltes Blinzeln ihre Neugier ein wenig durchblitzen. Aber das machte nichts, weil das von ihr erwartet würde, angesichts einer so eindeutigen Aussage über das Horn. Es war wohl als Köder gedacht, um sie zu überreden, hier zu bleiben, erkannte sie. Andererseits war diese Frau Birgitte, also wusste sie vielleicht tatsächlich, wo das Horn war! Das war unglaublich, sie musste irgendwie mehr darüber erfahren! Mühsam drängte sie ihre Aufregung angesichts dieser unerwarteten Entdeckung zurück. Wenn es ihr gelang, das Horn von Valere zu finden, konnte sie verhindern, dass die Helden des Rades zur Rettung al'Thors erschienen, wenn die Letzte Schlacht begann, der Große Herr würde das mit Sicherheit zu schätzen wissen, sie vielleicht sogar auf eine Stufe mit den Auserwählten stellen. Die Vernichtung einer einzelnen Heldin des Rades war daneben fast unbedeutend, aber eine nette Zugabe.

Sie ließ sich schneller als geplant überreden, der Garde beizutreten. Als persönliche Adjutantin Birgittes – eine vorgeblich widerwillig gegebene Kostprobe ihrer Schreibfertigkeit hatte ausgereicht, um ihr diesen Posten anzubieten – hatte sie nicht nur Zugang zu zahlreichen Unterlagen, was hervorragend war, sondern blieb auch in Birgittes unmittelbarer Nähe. Vielleicht war sie eine Heldin, aber wie man den Mund hielt, hatte sie offenbar nie gelernt. Ab jetzt würde sie jedes Wort dieser Frau auf die Goldwaage legen, beschloss sie. Außerdem konnte sie ihr ohne Misstrauen zu erregen, weitere Fragen über das Horn von Valere stellen, schließlich war sie ja angeblich eine Jägerin. Dieser Posten war um Längen besser, als einer in der Leibwache des Mädchens, sie konnte sich viel freier bewegen.

Sie lächelte, als sie zum „Großen Ritter“ zurückkehrte, um ihre Sachen zu holen. Das Glück des Großen Herrn war heute eindeutig auf ihrer Seite!

Trennlinie

Missmutig betrachtete Aran'gar den Körper der toten Aes Sedai. Das schwache Leuchten, welches das Innere des Zeltes sichtbar machte, zeigte kaum mehr als einen Umriss, aber es war leider notwendig, vorsichtig zu sein. Sollte jemand sie erkennen, dann wäre es ein Leichtes zu entkommen, aber Moridins Befehle waren eindeutig: Sheriam musste sterben und niemand durfte sie hier sehen. Ihr war nicht einmal erlaubt worden, eine Maske zu weben, sie sah genauso aus, wie man sie als Halima Saranov hier in Erinnerung hatte!

Es würde nichts nützen, wütend zu werden. Moridin war Nae'blis und es war undenkbar, nicht zu gehorchen. Dabei wusste sie nicht einmal, warum die Frau überhaupt hatte getötet werden müssen, sie hasste es, wenn sie nicht wusste, was ihre Befehle zu bedeuten hatten. Die naheliegendste Vermutung war, dass jemand – möglicherweise Moridin selbst – Sheriam als Informantin benutzt hatte, um wegen des al'Vere-Mädchens auf dem Laufenden zu bleiben. Nach deren Gefangennahme jedoch war es sinnvoll, diese Spur zu verwischen, ja, wahrscheinlich war es so, auch wenn sie nicht sicher sein konnte. Falls es so war, waren die Ergebnisse sicherlich alles andere als zufriedenstellend gewesen, schließlich wusste sie nur zu gut, dass das Kind ihrer Behüterin der Chronik kaum etwas von Belang anvertraut hatte. Der Gedanke jedoch, dass vor allem auch sie selbst auf diese Art überwacht worden sein mochte, bereitete ihr nicht geringes Unbehagen, auch wenn sie sich nichts vorzuwerfen hatte und die Gefangennahme nicht zuletzt ihr Verdienst war. Leider war diese Möglichkeit nur allzu wahrscheinlich, besonders Ishamael mochte es, stets gut informiert zu sein, das hatte sich seit seiner Wiedergeburt als Moridin bestimmt nicht geändert. Zumindest für sie bestand keinerlei Zweifel, dass er tatsächlich jetzt der Nae'blis war, neben allem anderen, das darauf hindeutete, hatte Ishamael dem Großen Herrn immer näher gestanden, als die anderen, die es bisher erwischt hatte.

Aran'gar hatte heute Nacht weniger erfahren, als erwartet. Sie hatte Sheriam in der Absicht dem Zwang unterworfen, auch das letzte bisschen Informationen aus ihr herauszuzwingen, das sie vielleicht noch hatte zurückhalten können. Zwar war der Zwang nicht gerade ihre Spezialität, aber für dieses halb ausgebildete Kind, das sich Aes Sedai genannt hatte, sollte es reichen. Hatte sie gedacht. Und dann war es ausgerechnet Lews Therins Binder gewesen, der ihr in die Quere gekommen war.

Sheriam hatte bereitwillig erzählt, dass sie dem Mädchen Gehorsam geschworen hatte und auch, dass sie wirklich an ihre Eignung als Amyrlin glaubte – was an sich schon erstaunlich genug war - aber mehr war beim besten Willen nicht zu erfahren gewesen. Sheriam hatte sich in Qualen gewunden und sich sichtlich bemüht, ihr mehr zu verraten, doch ihr verdammter Eid hatte das nicht zugelassen. Gefangen zwischen Eid und Zwang hatte Sheriam schließlich das Bewusstsein verloren und Aran'gar hatte mit einem schlichten Strang aus Wasser und Erde ihr Herz angehalten.

Zwar bestand kein Grund zur Eile, da laut Sheriam niemand aus der Schwarzen Burg zurzeit im Lager war, doch sie öffnete ein Tor und trat hindurch, es war unnötig, ein Risiko einzugehen.

Delana schreckte aus ihrem unruhigen Schlaf, als sich das Tor auch schon wieder hinter ihr schloss. Die Frau mochte später vielleicht noch nützlich sein, Moridin wusste entweder nichts von ihr oder sie war ihm gleichgültig, aber im Moment hatte sie keine Verwendung für die Freundin der Dunkelheit, also beachtete sie sie nicht weiter, sondern legte sich auf das andere Bett. Ihre Unterkunft war nicht besonders bequem, aber mit Sicherheit besser als alles, was sie bei den Rebellen hatte nutzen können. Das kleine Gasthaus lag irgendwo an der Grenze zwischen Tear und Cairhien und so weit ab von weiteren Siedlungen, dass keine Gefahr einer Entdeckung bestehen sollte. Sie machte sich nicht die Mühe, sich fürs Schlafen umzuziehen, allerdings wob sie ein Schutzgewebe und band es ab, bevor sie die Augen schloss. Auch wenn Delana ebenso fügsam wie schwach war, war Aran'gar weit davon entfernt, ihr zu vertrauen und im Schlaf konnte sie ihr andernfalls schon mit einem einfachen Dolch gefährlich werden. Nicht dass sie glaubte, diese Möglichkeit sei sonderlich wahrscheinlich, aber man konnte ja nie wissen. Sie war schon einmal gestorben, weil sie zu unvorsichtig gewesen war und verspürte keinerlei Bedürfnis nach einer weiteren derartigen Erfahrung.

Sie wob ein komplexes Gewebe aus reinem Geist und fand sich neben ihrem Bett in Tel'aran'rhiod wieder. Sie überlegte kurz, ihren Schlupfwinkel aufzusuchen, um sich ihrer Gewohnheit entsprechend Notizen über das Geschehene zu machen, wob dann aber doch lieber den Geist in ein anderes Muster und folgte dem Gewebe zum Traum Egwene al'Veres. Auch die Tatsache, dass Moridin ihr dieses Gewebe offenbart hatte, sprach dafür, dass er Ishamael war, der Mann war im Tel'aran'rhiod erfahrener als Lanfear und fast an Moghedien herangekommen. Es war zwar etwas ungewohnt, aber nach einiger Zeit gelang es ihr tatsächlich, den Traum des Mädchens zu erkennen.

Erst beim fünften Anlauf und nach einer nicht abzuschätzenden Zeit gelang es ihr, den Traum in einer schützenden Hülle aus Geist betreten. Das war bei Träumern durchaus normal, denn solange sie das Muster lasen, waren sie automatisch vor jedem Zutritt sicher, aber ärgerlich war es dennoch, schon bei der Suche hatte sie zuviel Zeit verloren. Ohne einen Schutz die Träume des Mädchens zu betreten, war natürlich viel zu gefährlich, aber selbst so war Vorsicht angebracht. Hier waren ihre Fähigkeiten eher bescheiden und das Mädchen war ziemlich stark.

In diesem Traum saß sie gerade auf dem Schoß eines gutaussehenden jungen Mannes in etwas, das wie ein Raum in einem Gasthaus wirkte. Von diesem Jüngling hatte sie schon öfter geträumt, er musste ihr sehr nahe stehen. Bisher hatte Aran'gar stets Alpträume erschaffen, sobald sie Zutritt gefunden hatte. Sie hatte gehofft, so die Widerstandskraft des Mädchens zu schwächen und unbewusste Ängste zu erzeugen, aber inzwischen war sie nicht mehr sicher, inwieweit es ihr gelungen war. Es schien fast, als würde sie eher stärker statt schwächer, auch wenn das unmöglich schien. Der Widerstand gegen ihr Eindringen war jedenfalls so stark wie eh und je, wenn nicht sogar stärker als zu Beginn. Vielleicht sollte sie etwas Neues versuchen, beschloss die Auserwählte und verfolgte den Traum erstmal passiv weiter. Von Zeit zu Zeit veränderte sie den Traum und manchmal änderte er sich auch von allein, was natürlich normal war. Sie erfuhr genug aus diesem Traum – der verblüffend lange anhielt, länger als Träume normalerweise - um neue Möglichkeiten für ein Eingreifen zu erkennen. Bevor sie den Traum verließ, verwandelte sie den jungen Mann namens Gawyn Trakand in etwas unaussprechlich Schreckliches, aber sie konnte diese Bestie nicht lange aufrechterhalten. Zwar war sie viel stärker in der Macht als das Mädchen, aber die lange Anwendung von Saidin hatte sie erschöpft und das Mädchen war noch frisch, als sie jetzt im Traum nach Saidar griff und außerdem war innere Stärke hier genauso einflussreich wie die Macht, wenn nicht noch stärker, und das Mädchen war ja eine echte Träumerin und nicht auf Gewebe aus Geist angewiesen, so wie sie. Also verließ sie den Traum und fand sich in ihrem Bett wieder.

Als sie die Augen öffnete, drang bereits das Licht der aufgehenden Sonne durch die zwei Fenster. Verdammt, sie hatte wirklich gehofft, in dieser Nacht noch etwas Schlaf zu bekommen. Es würde ein klarer, wolkenloser Tag werden, wie es aussah. Aran'gar unterdrückte ein Gähnen, erhob sich und ließ mit Hilfe Saidins ihr Haar eine passendere Form annehmen, während sie in den kleinen Spiegel über dem Waschtisch blickte. Am heutigen Tag würde ein gewisser Gawyn Trakand eine düstere Begegnung erleben, die ihm nicht gefallen würde. Jedenfalls, wenn sie ihn heute schon fand. Sie hatte auch schon eine Vorstellung, wo sie mit der Suche beginnen könnte.

Sie weckte Delana und schickte sie mit präzisen Anweisungen nach Caemlyn, bevor sie selbst sich auf den Weg nach Tar Valon machte. Sollte es Mesaana nicht gelingen, das Mädchen unter ihre Kontrolle zu bringen, dann würde Aran'gar ihr den Rang ablaufen. Und nicht nur das, wenn Mesaana tatsächlich den Befehl verweigert hatte, sich dem Kampf in Shadar Logoth anzuschließen, wie es den Anschein hatte, würde dieses Versagen ihr sicherlich den Kopf kosten.

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Isam nickte ungeduldig. Er wusste selbst, dass diese Beute namens Padan Fain ihm schon zu lange entgangen war und brauchte nicht daran erinnert zu werden, besonders nicht von einem der Auserwählten, der ihm nicht einmal sein Gesicht zeigte.

"Er ist gefährlicher, als ihr vielleicht glaubt, also zögert nicht, sondern erledigt ihn sofort!"

Es wäre ihm unmöglich, diese Stimme wiederzuerkennen, denn wie bei ihrem letzten Treffen klang sie verzerrt. Dieser Moridin war entweder die Vorsicht in Person oder ein Feigling, aber eigentlich war ihm das egal, solange er nur tatsächlich endlich diesen Mann aufgespürt hatte, den anscheinend jeder der Verlorenen tot sehen wollte. Allerdings gefiel es ihm garnicht, wenn jemand ihm sagte, wie er seine Arbeit machen sollte, das wusste er selbst mindestens genauso gut und das hatte er schließlich auch schon oft genug bewiesen. Er bezweifelte, dass der Große Herr einen besseren Mann für solche Aufgaben besaß als ihn. Dennoch fragte er sich, warum einer der Auserwählten sich überhaupt an ihn wandte, statt den Mann einfach selbst zu töten, denn angeblich besaß er hier nur wenige Anhänger und es bestand kaum die Gefahr erkannt zu werden.

"Natürlich." war jedoch alles, was er erwiderte. Den Auserwählten stellte man besser nicht zu viele Fragen.

"Und vergesst nicht, kommt auf keinen Fall in die Nähe des Dolches mit dem Rubin!" Die verzerrte Stimme klang noch eindringlicher als zuvor, soweit das möglich war.

"Natürlich nicht." Diese ständigen Wiederholungen gingen ihm wirklich langsam auf die Nerven. Was konnte an einem Dolch schon besonderes sein? Andererseits würde er sich natürlich trotzdem von diesem Dolch fernhalten, sicherlich waren diese ständigen Warnungen nicht völlig unbegründet. Allerdings würde dieser Padan Fain heute Nacht keine Gelegenheit bekommen, den Dolch zu benutzen, dafür war er einfach zu schnell. Falls der Mann sich überhaupt hier aufhielt, Moridin war sich nicht sicher. Dieses Zelt mitten im staatenlosen Nirgendwo zwischen Cairhien und Tear, das ständig auftauchte und wieder verschwand, weil es so kurz nur hier gestanden hatte, war zwar leicht groß genug für ein Dutzend Männer, wirkte aber schäbig und sah nicht nach einem Mann aus, der angeblich nach Höherem strebte.

Moridin schien endlich zu einem Ende gekommen zu sein und schwieg. Isam nickte ihm kurz zu und trat dann mit gezogenem Dolch aus Tel'aran'rhiod heraus in die wirkliche Welt, wo er zu Luc wurde. Das Gift auf der Klinge würde jeden innerhalb von Augenblicken töten, es war unnötig, ein Risiko einzugehen.

Er war überrascht, als er die großen Umrisse sah, die in dem wenigen Mondlicht, das durch Risse im Zelt drang, klar als Trollocs zu erkennen waren. Ihre Atemgeräusche schienen ihm jedoch merkwürdig gedämpft, so als schliefen sie nicht wirklich. Das musste Einbildung sein, entschied er.

Noch überraschter war Luc - er bemerkte kaum, dass er nicht mehr Isam war, da der Übergang so natürlich schien - als er direkt vor seinen Füßen ein blasses Gesicht ohne Augen erkannte. Wäre er nur eine Handbreit weiter vorne gelandet, hätte der Myrddraal ihn vielleicht aufgeschlitzt, bevor er
hätte reagieren können. Es schien kaum möglich, dass Padan Fain sich in solcher Gesellschaft befand, doch er war zu recht für seine Gründlichkeit bekannt. Außerdem hatte er noch nie zuvor von Trollocs oder Myrddraal gehört, welche in einem Zelt schliefen, sehr ungewöhnlich war das, denn normalerweise verzichteten beide auf derartigen Übernachtungkomfort.

Rasch, aber vorsichtig und lautlos wandte er sich auf dem Fleck herum, auf dem er stand. Seine Augen hatten sich rasch an die Dunkelheit gewöhnt, er war sowieso meistens in der Dunkelheit unterwegs und er entdeckte tatsächlich eine Gestalt, die ein Mensch sein mochte, in der dunkelsten Ecke des Zeltes. Dann lächelte Luc. Offenbar hatte Moridin richtig gelegen, denn ein roter Schimmer und ein goldenes Glitzern wurden sichtbar, als er den Kopf bewegte. Er hatte Padan Fain endlich gefunden und verschwendete keine Zeit. Er wich dem Myrddraal aus und machte stattdessen lieber einen gewagten Schritt über einen gehörnten Trolloc hinweg. Er bemerkte, dass in direkter Nähe Fains etwas Platz frei geblieben war, obwohl es im Zelt sonst sehr eng war. Es war ein Wunder gewesen, oder das Glück des Großen Herrn, dass er auf niemandem gelandet war und ihn geweckt hatte.

Plötzlich schauderte es ihn. Der Mann musste vollkommen wahnsinnig sein, inmitten von Trollocs und Myrddraal zu schlafen! Als er selbst die Truppen an den zwei Flüssen angeführt hatte, hatte er stets etwas Abstand zu seinen Untergebenen gehalten, aber er begriff plötzlich und zweifelte auch nicht daran, dass es in diesem Fall die Trollocs und der Myrddraal waren, die Abstand hielten. Moridin hatte nicht übertrieben, Fain war gefährlich.

Er bemerkte, dass er schon zu lange zögerte, und beeilte sich. Rasch kniete er nieder und hieb mit dem Dolch in seiner Hand dorthin, wo das Herz sein musste.

Schnell wie eine Schlange ergriff eine Hand Padan Fains die seine, kurz bevor er traf. Der Griff war hart wie Eisen und bestürzenderweise blickte der Mann lächelnd in seine Augen! Niemand war so schnell, niemand! Doch wenn der Mann glaubte, er sei geschlagen, dann irrte er sich. Schnell betrat er die Welt der Träume - oder versuchte es. Nichts geschah! Er war nach wie vor hier und das Lächeln Fains wurde breiter, jedenfalls soweit er in der Dunkelheit erkennen konnte. Er versuchte es weiter, ohne Pause, aber es passierte absolut nichts. Davor hatte ihn Moridin nicht gewarnt, ja, er bezweifelte, dass er es überhaupt für möglich gehalten hätte.

"Ich habe früher mit Dir gerechnet, mein Freund, und ich kenne Deine Tricks" sagte Fain und kicherte. Er schien tatsächlich amüsiert! Das war absurd, niemand konnte verhindern, dass er die Welt der Träume betrat! Nur dass dieser abgemagert wirkende Mann es offenbar doch konnte. "Ich kann auch ein paar Tricks, soll ich Dir einen zeigen?"

Luc versuchte, seine Hand aus dem unbarmherzigen Griff der dürren Finger zu befreien, aber er hätte genauso gut versuchen können, ein Haus anzuheben. Plötzlich wurde ihm schwindelig und er glaubte, Worte zu hören. War er selbst es, der sprach, oder vielleicht Isam? Er konnte es nicht sagen, sich nicht konzentrieren. Er glaubte, auch Fragen zu hören, aber alles, was er noch wahrnehmen konnte, war ein rotgoldener verschwommener Fleck vor seinen Augen. Er bemerkte kaum das Verstreichen der Zeit und fühlte sich losgelöst. Schließlich wurde sein Blick schärfer, aber er fühlte sich noch immer verwirrt. Warum schwebte ein goldener Dolch vor ihm in der Luft? Er sah, wie sich ein Splitter vom Rubin am Griff des Dolches löste, für einen Augenblick war es dieser blutrote Splitter, der seine ganze Aufmerksamkeit beanspruchte. Und dann fühlte er Schmerz! Schmerz wie nie zuvor. Es war, als stünde sein gesamter Körper in Flammen, während er gleichzeitig zu bitterster Kälte erstarrte, aber das war nicht das Schlimmste. Er spürte, wie seine Seele geformt wurde, zerstört wurde, zusammengefügt und wieder gespalten, in ununterbrochener Folge, eine unendlich scheinende Woge aus Agonie pulsierte in ihm und seine Stirn stand im Zentrum dieser Qualen. Er wünschte sich, sein Kopf säße nicht mehr auf seinen Schultern, jedenfalls soweit er überhaupt einen Gedanken fassen konnte.

Dann war es vorbei. Noch immer schüttelten Krämpfe seinen Körper aber die Wogen der Agonie waren fort. Er spürte, dass er am Boden kauerte, und fühlte sich schwach wie ein Kind als er keuchend Luft durch seine heisere Kehle sog. Er musste geschrien haben, konnte sich aber nicht daran erinnern. Er versuchte instinktiv, in die Welt der Träume zu springen, aber es klappte nicht, also öffnete er zaghaft die Augen.

Ein grinsender Padan Fain kniete vor ihm und nahm die Hand von seiner Stirn, während er seine Dolchhand weiterhin festhielt. Für einen Moment überwältigte ihn fast das heftige Verlangen, zu fliehen, aber er unterdrückte es. Nur einmal hatte er eine Erfahrung gemacht, die der von gerade ähnlich war, am Rande des Shayol Ghul. "Was habt Ihr getan?" flüsterte er, während er sich vorsichtig aufrichtete und seine freie Hand an seine Stirn hob, wo sie genau in der Mitte etwas wie eine winzige Beule fand, die kaum zu ertasten war und leicht schmerzte, als er sie berührte.

"Ich habe Euch eine Chance gegeben, wieder frei zu sein." sagte Padan Fain, ließ ihn los und wandte den Blick dann auf etwas hinter ihm. "Ihr wartet draußen." sagte er. Es klang fast beiläufig, aber er hörte sofort zustimmendes Gemurmel, das von den Trollocs zu stammen schien und ein "Sofort, Herr." das von dem Myrddraal kommen musste.

Als er sich umwandte, richtete sich der Myrddraal von der Verbeugung auf, die er offenbar gemacht hatte und wandte sich zum Gehen. Die Trollocs hatten das Zelt bereits verlassen, oder hasteten geduckt hinaus. Als der Halbmensch sich aufrichtete, traf sein augenloser Blick einen Moment lang den seinen. Zu seiner Verblüffung empfand er nicht mal einen Anflug von Furcht. Ja, der Myrddraal konnte ihm schaden, falls er nicht achtgab, ihn vielleicht sogar töten, aber dennoch, vielleicht sogar deswegen, verspürte er keine Angst. Zuvor hatte er die Gefühle von Angst ignoriert, denn sie waren durchaus beiderseitig. Aber jetzt...

Als der Halbmensch das Zelt gerade verlassen wollte, lachte Luc plötzlich auf und rief "Dich kenn' ich doch! Komm gefälligst her und sag' mir, was Du hier zu suchen hast!" Dieser Myrddraal war eindeutig mit ihm an den zwei Flüssen gewesen, auch wenn er nicht hätte sagen können, woher er das wusste.

Der Augenlose wirbelte so schnell herum, dass seine Umrisse zu verschwimmen schienen. Luc sah den Unglauben in seinem augenlosen Blick, ja, konnte ihn sogar spüren. Er erwiderte den Blick streng, als eine heiter klingende Stimme neben ihm sagte "Warte draußen! Wenn Du lauscht, schneide ich Dir die Ohren ab." und dann lauthals lachte. Er hatte ganz vergessen, dass Padan Fain neben ihm saß. Er war doch gekommen, um... Was wollte er noch gleich von ihm? Es würde ihm schon wieder einfallen. Er schenkte dem Myrddraal keine Beachtung mehr, als der das Zelt verließ, er war unwichtig.

Höflich hörte er zu, als der zerlumpt wirkende Mann ihm erklärte, dass sie als Verbündete vielleicht besser fahren würden, als als Feinde. Er sagte auch, dass es wohl besser wäre, ihre Zusammenarbeit nicht so bald bekannt werden zu lassen, was sicherlich Sinn machte. "Stell Dir vor, wie viele der Auserwählten“ Fain spuckte aus „dran glauben müssen, wenn wir erst zusammenarbeiten! Und denke an al'Thor und seine Verbündeten, sie werden fallen, wie die Fliegen!" Der Hass in der Stimme des Mannes war pur und rein, als er den Wiedergeborenen Drachen erwähnte.

"Und Lan Mandragoran!" gab Luc energisch zurück. "Der muss auf jeden Fall sterben!"

"Der Behüter von Moiraine?" Zum ersten Mal seit Beginn ihrer Unterhaltung runzelte Padan Fain die Stirn. "Natürlich muss er sterben! Sie müssen beide sterben! Sie sollen leiden bis sie um den Tod betteln, hörst Du, leiden!"

"Ja, sie müssen leiden!" stimmte er grimmig zu. "Alle beide. Und Nynaeve al'Meara, Lans Frau auch!"

Fain grinste ihn an. "Nynaeve al'Meara ist jetzt Lans Frau? Das ist wundervoll! Die Menschen aus Emondsfeld sollen noch mehr leiden als alle anderen zusammen! Nicht nur Rand al'Thor, nein, auch Perrin Aybara und Mat Cauthon, sie alle, aber besonders al'Thor!"

"Auch Perrin Aybara, ja! Sie müssen alle sterben." stimmte Luc zu und grinste zurück. Dieser Mann schien ihm direkt aus dem Herzen zu sprechen.

Dann plötzlich schien Fain etwas einzufallen. Er wirkte ernst und sprang auf. Luc folgte ihm, als er das Zelt verließ und hörte zu. Was Fain sagte, klang einleuchtend und er steuerte auch ein paar eigene Ideen bei. Schließlich deutete der Mann auf eine der zerlumpten menschlichen Gestalten. Rasch ließ Luc den Worten Taten folgen und rammte seinen Dolch dem Mann ins Herz. "Echtes Menschenblut." erklärte er. "Das wird Moridin mit Sicherheit täuschen!"

Fain nickte. "Aber jetzt solltet Ihr zurückkehren, bevor er misstrauisch wird. Und denkt daran: Ihr fordert ein mächtiges Heer, um es gegen Lan Mandragoran zu führen. al'Thor wird ihm zu Hilfe kommen, genau wie Lan ihm in Far Madding zu Hilfe kam, ich weiß es. Und Ihr bekommt Eure Chance, Lan Mandragoran zu vernichten. Wir werden ein Heer aufstellen, dass selbst Shai'tan erzittern wird, bevor wir ihn ebenfalls töten für das, was er uns dreien antat!"

Das kurze Unbehagen, das er bei der Nennung des Namens seines ehemaligen Herrn verspürt hatte, verblasste schnell. Dann grinste er mindestens so breit wie Fain. "Wir werden Shai'tan lebendig die Haut abziehen, mein Freund! Er wird tausendfach bezahlen für das, was er uns angetan hat. Wir sehen uns, Padan Fain." Nach einem leichten Nicken zum Abschied kehrte er nach Tel'aran'rhiod zurück.

Moridin wartete nicht weit vom Zelt entfernt. Schnell ließ er sein Grinsen etwas selbstzufriedender ausfallen. "Erwischt!" er hob den blutigen Dolch.

"Ihr habt ihn? Ausgezeichnet!" Trotz der Verzerrtheit der Stimme klang eindeutig Freude durch und Moridin ließ im Anschluss ein Lachen heraus, das offensichtlich von Herzen kam. Isam fiel noch nicht ein, auch wenn es ihm schwer fiel. Luc stand direkt hinter Moridin und grinste ihm zu. Luc hielt einen Dolch in der Hand und hob ihn über Moridins Kopf. Der sogenannte Auserwählte war ihm ausgeliefert und hatte keine Ahnung. Als der verzerrte Schatten des Verlorenen sich bewegte, war Luc wieder in ihm. Es war noch zu früh, dieses Geheimnis zu enthüllen, das wussten sie beide. Isam hatte allen Grund zu lachen, blieb jedoch weiterhin so gelassen wie möglich.

„Und der Dolch?“ fragte Moridin einen Moment später.

„Ich habe ihn von einem Trolloc tief vergraben lassen und ihn dann getötet.“ gab Isam sofort zurück. Fain hatte vorhergesehen, dass diese Frage käme.

„Gute Arbeit, Isam.“ Er war sicher, dass er ein Lächeln gesehen hätte, wäre der Verlorene nicht verschleiert.

"Vielleicht habe ich mir eine Belohnung verdient, Moridin?" Er ließ dies vorsichtig klingen, aber es wäre wohl garnicht nötig gewesen, so vorsichtig zu sein. Moridin wirkte geradezu ausgelassen und nicht ein einziger Funken Misstrauen zeigte sich in seinen Gesten als er antwortete.

"Fain hätte alles zunichte machen können, was ich so sorgfältig geplant habe. Er hat schon zu viele meiner Pläne gestört. Jetzt gibt es nichts mehr, das mich noch aufhalten kann!" Ein weiteres Lachen machte es ihm schwerer, sein eigenes noch zurückzuhalten.

"Ich habe etwas gehört, das Euch vielleicht interessiert, Isam." Er schien auf eine Reaktion zu warten, aber Isam hielt sein Lachen mühsam zurück und schwieg. Es durfte jetzt nichts mehr schiefgehen, Moridin war zu gefährlich - und er konnte noch so unheimlich nützlich sein! Nach einem Augenblick fuhr der undeutliche Schatten verschwörerisch fort: "Lan Mandragoran, so habe ich gestern erfahren, stellt in den Grenzlanden ein Heer zusammen. Allem Anschein nach zieht er gerade von Saldaea über die Grenze nach Kandor und ist auf dem Weg nach Schienar. Vielleicht würde es Dir gefallen, aus der Fäule ein Heer gegen ihn zu führen?"

Jetzt, ja, jetzt ließ er sein Lachen heraus. Das war alles worauf sie gehofft hatten: Ein eigenes Heer! Und er war der Kommandant, das war perfekt! Er brauchte Shai'tans verfluchtes Glück nicht mehr, jetzt hatte er sein eigenes!

"Ich werde Lan Mandragoran vernichten!" rief er energisch aus, und Moridin lachte erneut, bevor er verschwand. "Und Euch und Euren Herrn gleich mit." fügte er ungehört hinzu. Dann lachte er, bis er Bauchschmerzen bekam, während er unbewusst über seine Stirn rieb, und teilte sich erneut. Es gab viel zu tun. Lachend trat Luc aus dem Traum heraus, um mit Fain in aller Ruhe ihr weiteres Vorgehen zu besprechen, während sich Isam daran machte, in der Welt der Träume mehr über dieses Heer an der Grenze Kandors zu erfahren. Es war ein Jammer, dass nur einer von ihnen die Welt der Träume verlassen konnte, aber zumindest erfuhr er augenblicklich, was Isam entdeckte, sie waren noch immer eins, nur anders als zuvor. Es war ein erhebendes Gefühl und Luc genoss es.



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