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Ein neuer Wind

Es war Dringlichkeit, die Egwene am nächsten Morgen weckte. Sobald sie wach war, verschwand das Gefühl, ihr Erster Behüter betrat mit federndem Schritt das Schlafgemach und schloss die Tür hinter sich sofort wieder. Er hob die Brauen, als er sah, dass sie allein war, stellte aber keine Fragen und seine Gefühle deuteten nur ganz kurz Neugier an.

„Gawyn ist wieder bei den Jünglingen,“ erklärte sie ihm trotzdem „es ist besser, wenn er ein Auge auf sie hat.“

„Wenn er nach der letzten Nacht überhaupt seine Augen offenhalten kann.“ murmelte er nicht ganz leise genug und fuhr dann in normalem Tonfall fort. Sie wusste, was er meinte, denn es war ihr nicht ständig gelungen, ihre Gefühle abzuschirmen. Ihre Wangen fühlten sich etwas heißer an und sie machte rasch ihre Rüstung wieder sichtbar und undurchlässig, bevor sie die zerwühlten Decken zurückschlug und sich erhob. Sie hatte nicht viel Schlaf gefunden letzte Nacht und war entsprechend müde, doch es blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als ihre Müdigkeit ein weiteres Mal zu ignorieren.

„Es ist zwar gerade erst hell geworden, Mutter, aber Ihr habt bereits Besuch.“

Überrascht hob sie den Kopf, wer sollte sie schon so früh am Morgen aufsuchen? „Besuch?“

„Einige Aes Sedai kamen unabhängig voneinander in den Thronsaal und baten mich, Euch zu wecken. Sobald die Behüterin der Chronik dazukam, beschloss ich, dass es wichtig genug sein müsste, um diesen Bitten nachzukommen.“ berichtete er gelassen. Also entschied er jetzt, was wichtig war und was nicht, wie? Um den Morgen nicht gleich mit einer Zurechtweisung zu beginnen, korrigierte sie seinen Irrtum nicht, aber sie würde es sich merken. Zumindest in diesem Fall jedoch lag er wohl richtig damit, sie erst geweckt zu haben, sobald Tarna eingetroffen war.

„Und was wollen sie so früh schon?“ fragte sie, während sie sich erhob und an ihren reich verzieren Waschtisch herantrat. Sie unterdrückte ein Gähnen nicht, das wäre gegenüber ihrem Behüter albern, da er es sowieso merken würde. Innerlich war sie noch mit dem einen oder anderen Traum beschäftigt, den sie für wichtig hielt, allerdings einmal mehr nicht deuten konnte. Dann sah sie ein, dass es jetzt wichtiger war, sich auf die Besucher zu konzentrieren, damit sie rechtzeitig bis zur Sitzung fertig wäre. Sie warf einen Blick in den großen Spiegel, der über ihrer Kommode hing, verblüfft stellte sie fest, dass ihre Haare sich wieder ordentlich unter dem Helm befanden. Nur wenige Locken ragten genauso darunter hervor, wie es schon von Beginn an der Fall gewesen war. Es sah so aus, als würde sie in Zukunft deutlich weniger Zeit damit verbringen, ihr Haar zu richten. Alles in allem vermutlich ganz nützlich, denn wenn sie eines gebrauchen konnte, dann Zeit.

„Das müsst Ihr sie schon selbst fragen, Mutter, einem einfachen Behüter wie mir vertrauen doch Aes Sedai nicht so schützenswerte Informationen an.“ Er klang übertrieben beleidigt, sicherlich bewusst. Zwar spürte sie im Augenblick nur Konzentration bei ihm, aber vermutlich fand er es eher erheiternd, wie sie ihn inzwischen kannte. Rasch hatte sie ihre Morgenpflege erledigt, der Tag konnte beginnen.

„Dann finden wir es mal heraus.“ sagte sie und wollte den Raum verlassen, aber sofort fragte Salak: „Wo ist denn Eure Stola, Mutter?“ Jetzt blitzte tatsächlich ganz kurz etwas Heiterkeit bei ihm auf, bevor sie wieder verschwand, aber sie konnte nicht ausmachen, ob es ein Versehen oder Absicht gewesen war.

Sie tastete beinahe instinktiv danach, fand aber nichts an ihrem Hals, also ergriff sie kurzerhand die Eine Macht und riss mit Strängen aus Luft die Bettdecke hoch. In einer der zahlreichen Falten ihres Lakens entdeckte sie tatsächlich die Stola, welche ihren Rang verkündete. Sie war zerknitterter als der alte Cenn Buie! So schnell sie konnte, glättete sie die Stola mit Hilfe feiner Stränge aus Luft und Erde, bis sie wieder aussah wie neu.

„Könnt Ihr das auch mit Hemden, Mutter?“ meinte ihr Erster Behüter schmunzelnd, aber sie ging nicht darauf ein, sondern legte sie wortlos um und betrat den Thronsaal, nachdem sie ihr Umarmen der Quelle verborgen hatte. Egwene bezweifelte, dass sie heute ähnliche Kämpfe wie in den letzten Tagen bestehen musste, aber es schadete nicht, vorbereitet zu sein.

Sie achtete sorgfältig darauf, ihre Überraschung nicht zu zeigen, als sie ihren Blick beiläufig über all die Leute schweifen ließ, die sich hier versammelt hatten, und schritt möglichst gelassen zu ihrem Platz. Das Frühstück, das auf dem breiten Holztisch mit den golden glänzenden Intarsien für sie bereitet worden und auf ganze drei Tabletts verteilt war, sah sehr einladend aus. Weniger einladend waren zwei dicke Aktenstapel, die vermutlich nur einen Teil ihrer heutigen Arbeit darstellten. Es war ja schön und gut, dass man sie inzwischen für Amyrlin genug hielt, sich um all diese Dinge zu kümmern, aber besonders verlockend war die ihr bevorstehende Plackerei nicht.

Bevor sie auf ihrem Sessel Platz nahm, nahm sie unbewusst das bereitgelegte Kissen herunter und legte es neben die Tabletts auf den Tisch. Verdammt! Es war so zur Gewohnheit geworden, das vor den Mahlzeiten zu tun, dass sie nicht darüber nachgedacht hatte. Sie hielt mühsam ihre gelassene Miene aufrecht und murmelte so, dass es hoffentlich nur für ihre Behüter hörbar wäre, „Grässliches Muster!“, bevor sie an dem noch viel zu heißen Tee nippte, den ihr vierter Behüter gerade erst bei ihrem Eintreten eingeschenkt hatte. Alle ihre Behüter mussten ihr Missfallen bemerkt haben, mit etwas Glück würden sie nicht bemerken, dass es ihr selbst und nicht dem Kissen gegolten hatte. Sie spürte ganz kurz Zweifel beim Ersten Behüter und wusste, dass zumindest er nicht darauf hereingefallen war. Selbst bei Gawyn spürte sie etwas Besorgnis, obwohl er sich außerhalb der Stadt aufhalten musste. Sie bemerkte auch, dass Nicola sie aufmerksam musterte und fragte sich, was sie jetzt wohl dachte, schließlich kannte sie als einzige der Anwesenden diese Gewohnheit sehr gut. Ein leichtes Lächeln zeigte sich auf deren Lippen und sie richtete sich stolz auf, anscheinend betrachtete sie es als eine Art Kompliment. Egwene schenkte ihr daraufhin ein kaum wahrnehmbares Lächeln.

Alles, was sie dann sagte, war jedoch „Behüterin der Chronik, Bericht.“

Während Tarna mit ruhiger Stimme ihrem Befehl nachkam und sie über alles Wesentliche in Kenntnis setzte – offenbar war es zumindest den meisten Ajah gelungen, die geforderten Berichte und Schwestern zur Verfügung zu stellen – ließ Egwene ihren Blick erneut über die Anwesenden schweifen, während sie frühstückte.

Keine Überraschung war die Anwesenheit von Nicola und Sharina; als ihre Adjutantinnen war es natürlich ihre Pflicht, ihr morgens als erstes ihre Aufwartung zu machen. Beide wirkten etwas müde, aber sehr aufmerksam. Ob sie wohl ahnten, dass ihnen noch heute ihre Prüfungen bevorstanden? Schwer zu sagen, obwohl es eigentlich nur logisch war, wenn sie ihre derzeitige Stellung rechtmäßig machen wollten. Auch Siuans und Leanes Anwesenheit war kaum überraschend. Sie standen so nah bei den beiden Aufgenommenen, dass die vier sich vermutlich bis zu ihrem Eintreffen unterhalten hatten. Siuan wirkte allerdings, als hätte sie in der vergangenen Nacht noch weniger Schlaf gefunden, als sie selbst. Durch die Anwesenheit gleich fünf ihrer Behüter war auch Mattin Stephaneos keine Überraschung, der neben Gareth Bryne fast unscheinbar wirkte, vermutlich wollten sie über den Angriff auf Mazrim Taim mit ihr sprechen. Logain war natürlich längst in die Schwarze Burg zurückgekehrt, was schade war, sie hätte sich gerne noch etwas ausführlicher mit ihm unterhalten. Wenigstens hatte er zugesagt, so schnell wie möglich seine Gefolgsleute zur Prüfung hierher zu schicken, auch wenn die ersten wohl frühestens am Nachmittag zu erwarten waren.

Ebenfalls nicht wirklich überraschend war Saerins Anwesenheit, schließlich hatte sie regelmäßige Berichte zur Bedingung gemacht, als sie ihr das Buch der Ersten Amyrlin übergeben hatte, allerdings wirkte sie anders als sonst. Sie saß an einem kleineren Tisch an der Seite und hatte sich nur kurz bei ihrem Eintreten erhoben, ihr angemessen respektvoll zugenickt und dann wieder Platz genommen, um sich über das Buch zu beugen, an dem sie offenbar mit voller Hingabe arbeitete. Das alles war noch nicht wirklich seltsam, wohl aber das leichte und vor allem echt wirkende Lächeln, das die ganze Zeit auf ihren Lippen lag. Hatte sie etwas Wichtiges herausgefunden? Vermutlich.

Die eigentliche Überraschung waren Pevara und vier andere Rote, welche offenbar mit Tarna in der Schwarzen Burg gewesen waren, denn hinter ihnen standen jeweils drei Männer in Arbeitskleidung, die bestimmt keine Diener waren. Das heißt, zumindest die meisten trugen Arbeitskleidung, die drei hinter Pevara – unter ihnen natürlich Meister Benakra – trugen tatsächlich die fast unsichtbar machenden Umhänge der Behüter! Natürlich waren sie Behüter, allerdings war es erstaunlich, dass Pevara dies so deutlich zur Schau stellte. Es bestand zwar sowieso keine Möglichkeit mehr, diese Geschichte noch zu verbergen, aber es so offensichtlich zu machen, schien so garnicht zu der Frau zu passen, die sie bisher zu kennen glaubte. Sie konnte es kaum fassen, als die Sitzende der Roten ihr ein leichtes Lächeln schenkte, sobald sie ihren Blick auffing, erwiderte aber auch diese Höflichkeit – es konnte unmöglich mehr sein! – mit einem leichten Nicken. Javindhra dagegen, eine weitere Sitzende der Roten, schien kühl, auch wenn ihr Blick einiges Unbehagen verriet. Natürlich hatte Tarna ihr bereits mitgeteilt, dass auch sie mit in der Schwarzen Burg gewesen war, allerdings nahm Egwene an, die Anführerin ihrer Ajah musste es ihr befohlen haben. Ihr Unbehagen in Gegenwart dieser Männer war zumindest deutlicher sichtbar, als das der anderen Roten.

Der Bericht ihrer Behüterin der Chronik war knapp gehalten und enthielt keinerlei Überraschungen – wenn man von dem Treffen absah, das sie gegen Mittag mit dem Architekten von Elaidas Palast arrangiert hatte. Es brauchte keinen Hinweis auf die finanzielle Situation der Weißen Burg, sie wusste auch so, dass Elaida ihr ein teures Vermächtnis hinterlassen hatte.

„Vielleicht lässt sich daraus noch etwas Nützliches machen.“ meinte sie trocken. „Gibt es sonst noch etwas, Tarna?“

„Das ist vorerst alles, Mutter.“

„Kommst Du mit der Flut der Berichte einigermaßen zurecht? Ich fürchte das ist erst der Anfang.“

„Ich habe zwei freiwillige und vertrauenswürdige Helfer gefunden, Mutter.“ Zuerst glaubte Egwene, sie blicke auf Nicola und Sharina, aber dann machten zu ihrer Verblüffung Siuan und Leane einen Knicks. Tarna spannte die beiden für die Berichte ein? Das war fabelhaft, sie hatte sich schon gefragt, wie sie die beiden wieder integrieren könnte. Da sie sie keinesfalls selbst als Adjutantinnen einsetzen konnte, war diese Hilfsstellung bei Tarna ein wahres Geschenk des Lichts!

„Danke, Tarna.“ sagte sie so herzlich, wie sie es in dieser Runde wagen konnte.

„Nichts zu danken, Mutter. Wenn Ihr mich jetzt entschuldigt? Da Ihr die restlichen Aufgenommenen und die Novizinnen noch heute prüfen wollt, muss noch einiges vorbereitet werden, von all den Angestellten ganz zu schweigen.“ Tarna hatte ein vorübergehendes Ausgangsverbot verhängt und es hatte in der Nacht bereits mehrere Festnahmen gegeben.

Die Behüterin der Chronik wartete ihr Nicken kaum ab, sondern verließ den Thronsaal praktisch sofort. Wollte sie nicht wissen, was mit Saerin und Pevara los war, auch wenn es so viel zu tun gab? Dann schloss sich Siuan lächelnd der Roten an, während Leane etwas mürrisch wirkte und dablieb, und sie verstand. Leane würde ihr später alles berichten, was sie erfahren müsste, während sie sich um anderes kümmern konnte, die Frau war wirklich gut. Verblüffenderweise trat dann einer von Tarnas Behütern herein, stellte sich hinter Leane und ließ seine Blicke aufmerksam schweifen. Leanes Miene nach glaubte sie, auf diese Art überwacht zu werden, aber sie selbst vermutete, dass es ihrer Behüterin der Chronik eher darum ging, das Wissen zu beschützen, das in ihrem Kopf verborgen war. Vielleicht ja sogar die Frau, die den Kopf trug, Leane war Angriffen gegenüber wesentlich anfälliger als früher, schwach wie sie jetzt war. Egwene konnte sich wirklich nicht beschweren, dass Tarna nicht ihren Teil zur Versöhnung der Ajahs beitrug. Eine Grüne und vor allem eine Blaue Schwester in einer so vertrauensvollen Stellung waren ein deutliches Signal an alle Ajah – selbst wenn es sich um Siuan und Leane handelte.

Da Saerin offensichtlich in die Chronik der ersten Amyrlin vertieft war und Ihre Adjutantinnen so wie Gareth und Mattin geduldig abwarteten, wandte sie sich als nächstes an Pevara. „Was gibt es, Tochter.“

Die Angesprochene schritt hoch aufgerichtet auf sie zu und zeigte zu ihrem Erstaunen einen durchaus angemessenen Knicks, bevor sie sprach. „Auf ein Wort unter vier Augen, wenn ihr gestattet, Mutter.“

Statt einfach selbst einen Schutz gegen Lauscher zu weben, wie Romanda oder Lelaine es bedenkenlos taten, griff sie nicht einmal nach Saidar, sondern wartete verblüffenderweise der Etikette entsprechend, bis die Amyrlin als ranghöchste Anwesende diese Aufgabe übernahm. Sie zögerte nicht, sondern wob den Schutz und sagte ruhig: „Du kannst jetzt frei sprechen, Tochter.“

„Mutter, ich habe zwei Anliegen. Als erstes möchte ich euch bitten, auch im Namen meiner anwesenden Roten Schwestern, unsere Behüter der Prüfung zu unterziehen, wie Ihr es auch mit allen übrigen Behütern der Weißen Burg getan habt.“

Das kam überraschend und war mit Sicherheit nicht, was sie erwartet hatte. Allerdings war es höchst erfreulich, es wäre ein Segen, sich dieser Männer sicher sein zu können. Es gab nur leider einen Haken.

„Ich fürchte, dass ich dieses großzügige Angebot ablehnen muss – jedenfalls bis sie selbst aus freiem Willen dieser Prüfung zustimmen und wissen, was sie dabei erwartet. Es ist pures Glück, Tochter, dass bisher noch niemand wegen meiner Anwendung...“ Sie zögerte, das Wort Zwang zu verwenden „...dieses besonderes Gewebes gegenüber den übrigen Behütern Rechenschaft von mir gefordert hat.“

„Da es als zu großes Risiko schien, unerwartet auf einen Schattenfreund unter ihnen zu treffen, Mutter, sind sie bisher nur davon in Kenntnis gesetzt worden, dass alle Behüter zu einer Prüfung vor der Amyrlin aufgerufen sind. Dem haben alle zugestimmt. Sie vermuten, dass es an Elaida lag, dass sie nicht eher geprüft wurden, und wir haben sie in diesem Glauben gelassen. Keine von uns glaubt, dass einer ihrer Behüter nicht im Licht wandelt, aber wir möchten uns sicher sein. Ich kann dies nicht von Euch erwarten, Mutter, also bitte ich Euch darum.“

Egwene blinzelte, als die Sitzende der Roten einen weiteren Knicks zeigte. Dann hatte sie sich wieder gefasst. „Schickt Eure Behüter jeweils zu dritt zu mir, während ihr sie zu fünft abschirmt, Tochter.“ Auf diese Art sollten sie nichts von der Anwendung des Zwanges spüren, weil sie kaum Saidar brauchte, und da sie sich auf Bitten und aktive Mitarbeit von fünf Aes Sedai berufen konnte, erschien es angemessen sicher, den Gebrauch des Zwanges ein weiteres Mal zu rechtfertigen. Die Rote nickte und schritt auf die anderen Schwestern zu. Wenig später waren die fünf verknüpft und Pevaras in echte Behüterumhänge gekleidete Gaidin traten ruhig auf sie zu. Was war passiert, dass ausgerechnet Pevara sich plötzlich so... nun ja, normal verhielt? Wie es gegenüber einer Amyrlin angebracht war eben. Die Veränderung schien höchst willkommen, machte sie aber auch misstrauisch. Doch für weitere Überlegungen blieben ihr zunächst keine Zeit und sie konzentrierte sich stattdessen auf die drei Männer vor sich, die sich tief vor ihr verbeugten.

„Die Prüfung, die jetzt von Euch erwartet wird...“ Sie erklärte kurz Zweck und Funktionsweise der Prüfung und alle drei gaben ohne zu Zögern ihr Einverständnis, sich dem Zwang zu unterwerfen. Auch von den anderen zögerte keiner und es stellte sich auch keiner als Schattenfreund heraus. Ihr ging auf, dass zumindest einige Gefolgsleute Logains gewesen sein mussten und seine Truppen durch die anderen Ajah noch zusätzlich geschwächt würden, da Taims Asha'man von Rands Vereinbarung ausgeschlossen waren. Sie würde einen Weg finden müssen, dies zu verhindern. Es kam ihr gerade eine machbare Möglichkeit in den Sinn, als sie bemerkte, dass Pevara abwartend wieder vor ihr stand und offenbar auf ihre Aufmerksamkeit wartete. Ach ja, sie hatte gesagt, es gäbe zwei Anliegen.

„Und welches ist Dein zweites Anliegen, Tochter?“ fragte sie ruhig.

„Ich fürchte, es ist ebenso ernst wie mein voriges, Mutter.“ Auch wenn das selbstverständlich der Wahrheit entsprach, klang Pevara einfach nur ruhig und bestimmt. „Ich halte es für meine Pflicht, Euch davon in Kenntnis zu setzten, dass einige Schwestern Euch noch immer nicht als Amyrlin akzeptieren, Mutter.“

Egwene lachte trocken auf. „Erzähle mir etwas, das ich noch nicht weiß, Tochter.“

Pevara fuhr einfach fort, ohne ihren Einwurf zu beachten. „Die Anführerin meiner Ajah hat mich aufgefordert, ihr über jeden Eurer Schritte Bericht zu erstatten, Mutter. Ich soll dazu zunächst Euer Vertrauen gewinnen und dann über jeden Fehler, der zu Eurem Sturz führen könnte, sofort und detailliert Meldung machen. Es wurde nicht explizit ausgesprochen, Mutter, aber ich wurde indirekt dazu aufgefordert, Euch sogar zu Fehlern zu verleiten, sollte es nötig sein.“

„Das ist etwas Neues.“ stellte sie mit ernster Stimme und einem kurzen Nicken fest. Neu daran war vor allem, dass eine Schwester so etwas ausgerechnet ihr anvertraute.

„Der Hauptgrund dafür ist – abgesehen von Eurem Alter – dass Ihr von den neuen Behüterregelungen erfahren, und sie dann verkündet habt, Mutter. Die Anführerin meiner Ajah sprach von, ich zitiere „Einmischung in die Angelegenheiten meiner Ajah.“ Sie befürchtet Nachteile bezüglich ihrer Position, Mutter.“ Auch dies wurde mit ruhiger Stimme und gelassener Miene verkündet, als wäre es alltäglich. Egwene fragte sich misstrauisch, was diese plötzliche Offenheit zu bedeuten hatte.

„Und Dein Grund dafür, mir das alles zu berichten, ist?“

„Ich wurde eindeutig aufgefordert, das Burggesetz zu brechen, Mutter.“ Das war offenbar Ansichtssache, denn die Anführerin der Roten hatte mit dieser Anweisung an eine Sitzende eindeutig kein derartiges Problem. Letztendlich war es vermutlich die Angst vor einer weiteren Spaltung, die die Rote hierzu gebracht hatte.

„Und was glaubst Du, sollte ich deswegen jetzt unternehmen, Tochter?“

„Ich bezweifle nicht, dass jegliche Nachfolgerin ähnlich gelagerte Interessen entwickeln würde, Mutter, daher sehe ich keine Möglichkeit, wie Ihr hier direkt eingreifen könntet. Ihr seid der Amyrlin-Sitz und ich werde tun, was ich kann, um Eure Position gegenüber der Roten Ajah zu festigen, Mutter, und auch innerhalb des Saales der Burg. Sicher könnt Ihr auch eine nutzbringende Verwendung für unsere fünfzehn Behüter finden, die Ihr soeben geprüft habt, sie stehen zu Eurer Verfügung. Außerdem werde ich Euch die Identität der Anführerin meiner Ajah enthüllen, damit Ihr vor ihr gewarnt seid und außerdem von meiner uneingeschränkten Loyalität überzeugt sein könnt. Es ist...“

„Nein!“ rief Egwene sofort dazwischen und hob die Hand. Pevara verstummte und hob überrascht eine Braue. „Ich bin Dir dankbar für die Loyalität, die Du an den Tag gelegt hast, Tochter.“ Das war sie wirklich, und weit mehr als das! „Das mindeste, was ich als Gegenleistung tun kann, ist, Dich vor eigenen Fehlern zu bewahren. Sollte es tatsächlich die Notwendigkeit geben, sich innerhalb der Roten Ajah für eine neue Anführerin zu entscheiden, stehen Deine eigenen Chancen deutlich schlechter, falls Du die Identität Deiner Vorgängerin enthüllt hast.“ Sie verzog ihre Lippen zu einem halben Lächeln. „Selbst, wenn es erst in hundert Jahren soweit sein sollte. Es spricht nichts dagegen, wenn Du mich diesbezüglich auf dem Laufenden hältst, mir Deinen Rat anbietest oder mir zu jeder Zeit die Fragen stellst, die Dich beschäftigen, Tochter, aber nur weil andere die Werte der Weißen Burg gering achten, werde ich nicht zulassen, dass auch Du es tust. Vor allem nicht jetzt. Sollte es konkretere Pläne geben, die den Amyrlin-Sitz aktiv gefährden, entsteht eine neue Situation und ich kann andere Maßnahmen ergreifen. Zunächst jedoch gibt es geschicktere und vor allem rechtschaffenere Wege, die Identität der Anführerin Deiner Ajah zu erfahren. Ich bezweifle nicht, dass es in jeder Ajah vergleichbare Ansichten bezüglich meiner Position gibt, Tochter, nur fehlt mir dort eben eine vergleichbar loyale Schwester, die mir darüber Bericht erstattet. Hier.“ Sie griff nach einem Bogen Papier, das auf ihrem Tisch bereit lag und begann zu schreiben. Nur wenig später hatte sie die wenigen Zeilen beendet und faltete das Blatt zwei mal in der Mitte, bevor sie es der Roten in die Hand drückte.

„Bringe dies zu meiner Behüterin der Chronik, Tochter. Ich hatte eigentlich noch damit warten wollen, aber angesichts dieser Nachrichten, darf ich nicht länger zögern, das kannst Du ihr ausrichten. Bitte lies den Brief nicht selbst. Das ist alles, Tochter, danke für Dein Vertrauen.“

„Wollt Ihr es nicht versiegeln, Mutter?“ fragte Pevara verwundert.

„Vertrauen beruht auf Vertrauen, Pevara.“ gab sie sanft zurück und diese nickte.

„Danke, Mutter.“ sagte sie ernst. Nach einem weiteren Knicks wandte sie sich um und schritt davon, schnell gefolgt von den übrigen Roten und natürlich ihren Behütern. Den Fragen der anderen roten Schwestern schenkte sie jedoch anscheinend kaum Beachtung.

Egwene wandte sich an Gareth und Mattin, sobald sie den Schutz gegen Lauscher auf alle Anwesenden erweitert hatte. „Wie und wo würdet ihr fünfzehn männliche Machtlenker einsetzen?“

„Ihr meint, zum Schutz von Tar Valon, Mutter?“ fragte Gareth Bryne sofort und sie nickte knapp. Wofür sonst? In der Schwarzen Burg war bekannt, dass sie jetzt Behüter waren, also konnte man sie wohl kaum als Späher verwenden.

„Ich würde sie zunächst in drei Schichten aufteilen, Mutter.“ meinte er und Mattin nickte zustimmend. Gareth fuhr fort, ohne darauf zu achten. „Jeweils eine Schicht hat für acht Stunden Wache, eine trainiert und die dritte ruht sich solange aus. Wo Ihr sie einsetzt, hängt von den äußeren Bedingungen ab.“

„Inwiefern?“ wollte sie wissen. Diesmal war es Mattin, der antwortete, aber Gareth schien das nicht weiter zu überraschen.

„Die Häfen, Mutter. Die Verteidigung Tar Valons steht und fällt mit dem Nord- und dem Südhafen. Erst wenn diese wieder frei sind, kann die volle Verteidigungsfähigkeit der Stadt zum Einsatz kommen.“ Gareth nickte dazu, er hatte ja schon bei der Belagerung die Wichtigkeit der Häfen betont. Beide wussten natürlich, dass gegen das Schnelle Reisen eine völlig andere Verteidigung nötig sein würde, aber ganz Unrecht hatten sie nicht.

„Nehmt an, die Häfen wären wieder frei und so geschützt wie vorher.“ gab sie zurück.

„Dann würde ich nur einen an jedem Hafen postieren, sowie je einen an den Brücken nach Jualdhe, Alindaer und Daghain.“ meinte Gareth, aber diesmal widersprach ihm Mattin: „Ich würde einen an jedem Hafen postieren, je einen an den Brücken nach Darein und Daghain und den letzten auf der Spitze der Weißen Burg, Mutter.“

Gareth hob eine Braue. „Ausgezeichnet, Mattin.“

„Mit ein wenig Zeit, wärst Du sicher auch darauf gekommen.“

„Nur schade, dass ihn da oben keiner hört, wenn er schreit.“

„Er braucht nicht zu schreien, Gareth, er kann schließlich Saidin lenken.“

„Was Du nicht sagst.“

Egwene ging dazwischen, die beiden schienen sich entschieden zu gut zu vertragen. „Dann machen wir es so.“ entschied sie. „Ich werde mich selbst um die Umsetzung kümmern. Gibt es Neues wegen der Schwarzen Burg?“

„Das ist eine harte Nuss, die Ihr da knacken wollt, Mutter.“ sagte Gareth ernst und Mattin nickte.„Vor allem, wenn Eure Aes Sedai noch mehr von Logains Männern aus der Burg holen.“ fügte er hinzu.

„Auch darum werde ich mich persönlich kümmern. Geht vorläufig davon aus, dass Logain keine weiteren Männer verlieren wird.“ gab sie zurück und jetzt hoben beide eine Braue. Das war lächerlich. Andor und Illian hatten zwar keine Vergangenheit voller gemeinsamer Kriege, aber diese Einigkeit ging weit über alles hinaus, was sie hätte erwarten können. War vielleicht wieder ihr angebliches Ta'vaeren am Werk? Irgendwie konnte sie das noch immer nicht recht glauben. Zum ersten Mal seit langer Zeit dachte sie an Loial. Wo mochte der wohl gerade stecken? Sicher hätte er doch gemerkt, wenn auch sie einen derartigen Einfluss auf das Muster hätte.

„Wisst Ihr schon, wie viele Aes Sedai Ihr mitnehmen wollt, Mutter?“ fragte Gareth.

„Wie viele brauche ich denn?“

„Das hängt von vielen Faktoren ab, Mutter.“ gab Mattin zurück. „Nehmen wir zum Beispiel das Licht. Üblicherweise sollte ein solcher Angriff nachts erfolgen, aber es wird kaum möglich sein, Freund von Feind zu unterscheiden, wenn alles dunkel ist.“

Statt einer Antwort wob sie eine strahlend weiß leuchtende Flamme auf ihrer ausgestreckten Hand.

„Uns ist schon klar, dass Ihr wisst, wie man Licht macht, Mutter“ meinte Mattin unbeeindruckt, „aber wisst Ihr auch, wie man verhindert, dass ein Mann es dunkel macht? Viele Asha'man sind dazu in der Lage, großflächige Dunkelheit zu erzeugen. Jedes Leuchten, das dazu verwendet werden könnte, Freund und Feind zu unterscheiden, würde unsere Kämpfer zu leicht auszumachenden Zielen machen.“

„Und natürlich spürt jeder Mann sofort, falls eine der Aes Sedai die Eine Macht lenkt. An einen Überraschungsangriff ist dann nicht zu denken.“ fügte Gareth hinzu.

Ihr Blick schweifte hin und her, als würden die beiden sich Bälle zuwerfen, überlegte sie etwas erheitert. Dann war sie wieder bei der Sache. „Es gibt eine Möglichkeit, zumindest zu verhindern, dass ein Mann spürt, wenn ich beliebig viel Saidar halte, hilft das?“ Die Asha'man konnten es dunkel machen? Anscheinend brachte die Schwarze Burg einige bisher unbekannte und ganz eigene Talente hervor. Sie würde unbedingt selbst mehr darüber erfahren müssen, aber nicht jetzt.

„Aber Logain hat behauptet, das sei nicht möglich!“ wandte Gareth ein. „Ich habe ihn extra danach gefragt, Mutter.“

„Logain ist ein Asha'man und keine Aes Sedai, Lord Bryne.“ stellte sie trocken fest. „Er ist dazu da, Euch über die Gewebe von männlichen Machtlenkern zu informieren. Wenn es um die Gewebe der Aes Sedai geht, dann wendet Euch an Tarna Sedai, Siuan Sedai oder auch Nicola und Sharina. Und hängt nicht an die große Glocke, was Ihr erfahrt, nicht jede Aes Sedai kennt jedes Gewebe und das soll vorerst auch so bleiben, klar?“

„Ja, Mutter.“ Die Antwort kam von beiden ohne Zögern und im gleichen ruhigen Tonfall. Sie fragte sich am Rande, ob sie diese Ähnlichkeiten überhaupt bemerkten.

„Dann nehmt jetzt Nicola und Sharina mit und fragt ihnen Löcher in den Bauch.“ trug sie Ihnen auf und nach einer respektvollen Verbeugung traten sie auf ihre Adjutantinnen zu.

„Leane, Du begleitest sie.“ wandte sie sich an die Grüne. Sie ignorierte deren bereits zu einem Einwand geöffneten Mund und nahm ein paar Bissen von ihrem Frühstück. Zufrieden sah sie, wie Tarnas Behüter Leane wortlos folgte. Wie sie vermutet hatte, lautete sein Auftrag, in Leanes Nähe zu bleiben und nicht in ihrer. Sie bemerkte, dass Saerin zögernd ihre Behüter musterte, statt sich weiterhin vollständig auf das Buch zu konzentrieren, ignorierte das aber. „Gibt es etwas Neues von den Gaidin, Erster Behüter?“ fragte sie gelassen. Es wäre nett, sich mit etwas zu beschäftigen, dass angenehmer war als Widerstand innerhalb der Burg oder gar Kriegspläne. Nach dem nächsten Bissen Rührei griff sie nach einem Schinkenbrötchen, sie hatte wirklich Appetit.

„Zumindest an der Oberfläche ist alles ruhig, Stärkste Mutter. Die Nachricht Eurer Ankunft verbreitet sich rasch, weil viele Schwestern das Schnelle Reisen anwenden. Sicher werden bald die ersten Behüter beginnen, ihren Aes Sedai darin zuvorzukommen, zu Eurer Unterstützung hierher zu eilen. Ihre Schwestern werden keine andere Wahl haben, als ihnen an Eure Seite zu folgen, Stärkste Mutter.“

„Sie verlassen ihre Aes Sedai?“ vergewisserte sie sich so ruhig sie es fertigbrachte. Was nicht sehr ruhig war, denn sie war ernsthaft überrascht und hielt nur mühsam ihre innere Gelassenheit aufrecht. Die Hand mit dem Brötchen darin sank herunter auf die Tischplatte. Behüter verließen niemals ihre Aes Sedai, so etwas geschah einfach nicht!

„Selbstverständlich, Stärkste Mutter. Der Ruf ist ergangen, denn die Prophezeiung ist erfüllt. Sie werden kommen. Jeder Gaidin vom Rückgrat der Welt bis zum Aryth Meer wird sich auf der Stelle auf den Weg hierher machen, sobald er es erfährt, Stärkste Mutter.“ Er wirkte von dieser Aussicht geradezu begeistert, auch wenn sie von seinen Gefühlen nichts wahrnahm. Die übrigen vier fühlten sich jedenfalls außerordentlich erfreut an. Das war eine Katastrophe! Jede einzelne diese Schwestern würde sie persönlich hierfür zur Rechenschaft ziehen. Kein Wunder, dass Myrelle gesagt hatte, es wäre riskant, sich Stärkste Mutter nennen zu lassen. Sie kümmerte sich nicht um Saerin, die sie jetzt neugierig musterte, sondern wandte sich an den Ersten Behüter.

„Und was würdest Du sagen, Erster Behüter, wenn ich garnicht wollte, dass alle Behüter plötzlich ihre Aes Sedai verlassen, um hierher zu eilen?“ Sie spürte ganz kurz starke Überraschung, offenbar war ihm ein solcher Gedanke nie gekommen. „Was würdest Du sagen, wenn ich garnicht will, das irgendein Ruf ergeht?“

„Ich verstehe nicht, Stärkste Mutter...“ mehr fiel ihm offenbar nicht ein. Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, war Salak Turvalis sprachlos. Er ließ sie jetzt seine ungehindert anhaltende Verwunderung spüren und die der anderen vier stand seiner in nichts nach.

„Glaubst Du nicht, Erster Behüter, dass jede Aes Sedai, die von ihrem Behüter einfach mir nichts dir nichts im Stich gelassen wird, etwas wütend sein könnte? Und glaubst Du nicht auch, dass ich das wahrscheinlichste Ziel dieser Wut sein werde, sobald sie hier eintreffen?“ Sie war selbst überrascht, dass sie so ruhig klang.

„Wütend?“ gab Salak schwach zurück. „Warum sollten sie wütend sein?“ murmelte er, halb zu sich selbst. Dann veränderte sich seine Verwunderung, sie wurde sogar noch stärker, dann etwas heiterer und von Spuren von Verständnis durchdrungen. Er blickte sie mit großen Augen direkt an. „Ihr kennt den Eid nicht, Mutter?“

Den Eid? Zumindest das meiste war ihr im Gedächtnis geblieben, erst das Binden hatte ihr dann den Rest gegeben. Ihre anderen Behüter waren jetzt vollkommen verblüfft. „Ihr habt ihn deutlich genug ausgesprochen, klar kenne ich den Eid.“ Seine Verwunderung zerschmolz wie Butter in praller Sonne und die Heiterkeit wurde stärker.

Auch ihre anderen Behüter fühlten neben der weiterhin starken Verblüffung jetzt etwas Verständnis. „Doch nicht den Eid, Stärkste Mutter“ erklärte Salak mit sanfter Stimme und ein leichtes Lächeln stahl sich auf seine Lippen „Der war nur allein für Euch bestimmt. Ich meine den anderen Eid, Stärkste Mutter. Den, welchen jede Aes Sedai ihrem Behüter abnimmt, wenn sie ihn bindet.“

Behüter legten einen Eid ab, wenn man sie band? Irgendwie kam ihr das durchaus bekannt vor, hatte Moiraine das vielleicht mal erwähnt? In ihrem Unterricht durch Siuan waren Details über die Gaidin der Weißen Burg nicht gerade oft vorgekommen. Andere Dinge hatten einfach eine höhere Priorität besessen. Es stellte sich im Folgenden zu ihrer Erleichterung heraus, dass sie wegen dieser Geschichte wohl doch keinen Ärger mit den verlassenen Schwestern bekommen würde.

Sogar Saerin fiel leise ein, als sie gemeinsam mit ihren Behütern zu lachen anfing. Mit einem leichten Kopfschütteln schloss sie behutsam das Buch und schob ihre Notizen zusammen. Ihr Lächeln blieb erhalten, als sie auf sie zu trat und einen völlig angemessenen Knicks vollführte. „Mutter.“ war alles, was sie sagte.

„Was gibt es, Tochter?“ fragte sie zurück und ließ ihr Lächeln allmählich verblassen, weil es angemessener erschien.

„Nur einige Kleinigkeiten, bevor die Sitzung beginnt, Mutter.“

„Ja?“ fragte sie, als die Sitzende der Braunen zögerte.

„Es tut mir leid, Euch mit so alltäglichen Sorgen zu belasten, wo Ihr doch gerade so guter Stimmung seid, aber zunächst solltet Ihr vielleicht dafür sorgen, dass Mesaana etwas zu sich nimmt.“ Sie deutete auf die Verlorene, die - von Egwene völlig vergessen - hinter ihr in einer Ecke des Raumes stand, das Gesicht abgewandt und ohne sich rühren zu können. Das war bestimmt keine angenehme Nacht gewesen. Rasch löste sie die Fesseln und sofort wandte die Verlorene sich auf zitternden Beinen zu ihr um. Ihre Augen waren geweitet und Egwene glaubte, hinter all der ungläubigen Wut Angst zu erkennen. Natürlich würde sie kein Wort von sich geben, bis sie entweder dazu aufgefordert wurde oder eine akute Gefahr bemerkte.

„Mesaana, ich hatte Dich ganz vergessen. Iss und trink! Morgen kannst Du im Liegen schlafen, wenn ich daran denke.“

Nach einem zähneknirschenden „Ja, Mutter“ kam die Verlorene rasch zum Tisch und machte sich über die Reste her, die noch auf den Tabletts lagen. Sie zuckte tatsächlich zusammen, wann immer Egwenes Blick auf sie fiel, aber sie selbst schenkte dem keine besondere Beachtung, sondern wandte sich wieder an Saerin. Sicher gab es einen guten Grund, warum sie hier war, zumindest einen besseren als Mesaana. Rasch legte sie den Lauschschutz nur um sie beide. „Du kannst frei sprechen, Tochter.“

„Ich hatte bisher noch nicht viel Zeit, mich mit Eurem Buch zu beschäftigen, aber hier ist, was ich in der Kürze der Zeit herausfinden konnte.“ Sie reichte ihr zwei eng beschriebene Seiten und Egwene deponierte sie ganz oben auf dem größeren der beiden Papierstapel. Sie hoffte, dass sie neben allem anderen die Zeit finden würde, sich damit zu beschäftigen, bezweifelte aber, dass dafür viel Zeit bleiben würde. „Ich bemühe mich, eine wortgetreue Übersetzung zusammenzustellen, aber ich fürchte, dass mir vieles noch unklar bleibt, Mutter. Vielleicht solltet Ihr in Betracht ziehen, einige weitere Braune Schwestern in gleicher Weise wie mich zu verpflichten, damit mehrere Bände zugleich übersetzt werden können.“

„Nein.“ Das kam überhaupt nicht in Frage. Sie würde niemals mehr als einen Band zugleich aus dem Herzen der Burg mitnehmen, ausgeschlossen. In Anbetracht des Misstrauens vieler der Schwestern ihr gegenüber wäre das unverantwortlich leichtsinnig. Saerins Lächeln veränderte sich nicht, vermutlich hatte sie diese Antwort erwartet.

„Eine verständliche Entscheidung, Mutter.“ sagte sie verbindlich. „Allerdings habe ich sowieso meine Zweifel, ob mir meine Schwestern hier viel helfen können. Was ich wirklich bräuchte, wäre jemand, der mit den Begrifflichkeiten dieser Zeit besser vertraut ist.“ Sie warf einen vielsagenden Blick auf die Verlorene, die sich so hastig den Bauch füllte, als fürchte sie, dass es morgen nichts mehr gäbe.

„Du willst, dass ich Dir Mesaana überlasse, Tochter?“ vergewisserte sie sich.

„Ich kann zwar nicht behaupten, dass ich einer Zusammenarbeit mit einer der Verlorenen mit Freude entgegensehe, aber es scheint mir der vielversprechendste Weg zu sein, Mutter. Ich wäre überrascht, wenn sie dieses Buch nicht innerhalb eines einzigen Tages lesen könnte. Es ist immerhin in einer Sprache geschrieben, die sie so selbstverständlich lesen kann, wie wir heutzutage die Abenteuer des Jain Fernschweifer. Sicherlich kennt sie auch die meisten Begriffe, die sich auf Anwendungen der Einen Macht beziehen und kann sie mir auch erklären – oder sogar zeigen.“

„Warum sollte ich Dir so großes Vertrauen entgegenbringen, Tochter?“ Das Angebot war verlockend. Die Verlorene war im Moment eher ein Klotz am Bein als in irgendeiner Weise nützlich. Sie wollte Saerin vertrauen, hatte aber nicht das Gefühl, es bereits zu können.

„Diese Frage habe ich mir ebenfalls gestellt, Mutter. Ich habe beispielsweise in Betracht gezogen, Euch einen Gehorsamseid zu leisten, aber so etwas zöge so viele Unwägbarkeiten nach sich, wenn es bekannt würde, dass ich die Möglichkeit verwerfen musste. Alles, was ich sagen kann, ist, dass ich Euch mittlerweile für genau die richtige Frau halte, um als Amyrlin die Geschicke der Burg zu lenken.“ Ohne die drei Eide hätte sie das niemals glauben können, aber so...? Doch die braune Sitzende war mit ihrer Erklärung noch nicht fertig. „Seht Ihr, gestern Abend besuchte mich Romanda in meinen Gemächern und äußerte Zweifel bezüglich Eurer Eignung. Ganz plötzlich und zu meiner eigenen Überraschung stellte ich fest, dass ich sie nicht mehr teilte. Ihr sagtet, dass keine andere besser als Ihr für den Amyrlin-Sitz geeignet sei. Alles, was ich Euch klarmachen möchte, ist, dass ich dem heute uneingeschränkt zustimme.“

„Hast Du das auch Romanda gesagt?“ fragte sie sofort. Das war besser als jeder Eid!

„Das habe ich, Mutter.“ Saerins Lächeln schwand. „Zuerst habe ich ihr gedroht und versucht, sie einzuschüchtern, damit sie Euch in Ruhe ließe, weil ich eine erneute Spaltung der Burg befürchtete. Ich sagte ihr, wenn ich noch einmal davon erfahre, dass sie Eure Autorität offen in Zweifel zieht, würde ich Euch davon Bericht erstatten und fordern, dass man sie ihres Amtes enthebt. Das tut mir jetzt leid, Mutter.“

Egwene hörte fasziniert weiter zu, als die Sitzende ihr auch den Rest des Gesagten schilderte. Dann erhob sie sich, legte die Hand auf deren Schulter und sagte freundlich: „Ich danke Dir aufrichtig für das große Vertrauen, welches Du mir entgegenbringst, Tochter. Außerdem bedaure ich, dass du Dich mir erst so weit anvertrauen musstest, bevor auch ich Dir das Vertrauen schenken konnte, das Dir gebührt.“

Ein warmes und sehr wohltuendes Lächeln verband sie für einen Moment, der Egwene tief berührte. Dann spürte sie ganz kurz Dringlichkeit vom Ersten Behüter. Offenbar war es allmählich Zeit für die Sitzung.

Sie bemerkte überrascht, dass ihre Augen feucht waren. Tränen der Rührung standen darin. Es war ihr gelungen, zwei der einflussreichsten Sitzenden dazu zu bringen, ihr aus echter Überzeugung zu folgen! Nach all der Zeit begannen endlich einige Aes Sedai, sie voll als Amyrlin anzuerkennen. Das war einfach wunderbar. Sie riss sich zusammen und ließ den Lauschschutz fallen.

„Mesaana, ab sofort gehorchst Du Saerin in allem genauso, wie Du mir gehorchst. Du wirst sie niemals anders ansprechen, als Saerin Sedai.“

„Ja, Mutter.“ Es lag eindeutig Furcht in der heiseren Stimme der Verlorenen und sie wich ihrem Blick aus.



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