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Punkt acht

Als sich die Tür hinter Nicola geschlossen hatte, wandte sie sich an Tarna.

„Was hältst Du von ihr?“

Tarna widmete ihr ein schmales Lächeln. „Ihr überrascht mich immer wieder, Mutter. Sie hätte glatt eine Aes Sedai sein können.“ Sie war sofort wieder ruhig und gelassen. „Nicht einmal ich weiß viel über die Rechte und Pflichten einer Adjutantin der Amyrlin, Mutter. Sie wird große Probleme haben, wenn sie versucht, etwas darüber zu erfahren. Selbst für Aufgenommene ist dieser Teil des Burgrechts nicht zugelassen und kaum jemand weiß etwas über ihre Beförderung zur Aufgenommenen oder gar die Ernennung zu Eurer Adjutantin, weil Ihr es nicht mit dem Verstärker verkündet habt.“

Erheitert lachte Egwene kurz auf. „Tarna, was glaubst Du, wer mir erzählt hat, dass mit Laras etwas nicht stimmt? Ohne Nicola wäre ich nie darauf gekommen, ausgerechnet eine Köchin abzuschirmen.“

Tarna war sichtlich überrascht. „Woher konnte sie das wissen?“ fragte sie sofort.

„Sie hat mich sogar gewarnt, dass Alviarin plötzlich - und völlig unverständlicherweise angesichts ihrer Lage - ihr Selbstvertrauen wiedergewonnen hatte. Inzwischen ist der Grund dafür klar, denn der Dunkle König hat sie offenbar mit besonderen Kräften ausgestattet, die auch ihre Flucht möglich machten. „Die Wahre Macht“ hat Mesaana es genannt. Sie selbst ist zu deren Anwendung allerdings nicht mehr in der Lage. Doch um zu meiner Adjutantin zurückzukommen, wenn jemand Geheimnisse aufdecken kann, dann sie! In Salidar war sie eine wahre Plage, nicht wahr, Myrelle?“

Die Aes Sedai stöhnte. „Allerdings, Mutter!“ rief sie, und es kam hörbar von Herzen.

„Es ist wie ein Talent, Tarna, sie wittert praktisch Geheimnisse! In ein paar Stunden weiß sie vermutlich mehr über ihre Rechte und Pflichten, als die meisten Grauen. Dass sie ab und an auch für eine Prophezeiung gut ist, hast Du sicher schon gehört.“

„Hat Sharina auch solche Talente, Mutter? Ich dachte eigentlich, sie sei bloß stark in der Macht.“

„Ha! Sharina hat praktisch von Beginn an im Alleingang alle tausend Novizinnen der Rebellen zusammengehalten! Ohne sie hätte es vermutlich Wochen gedauert, bis wir Nicolas Abwesenheit auch nur bemerkt hätten. Und offensichtlich stellen ihre Heilfähigkeiten sogar Romandas in den Schatten. Sie hat Mut, hält sich strikt an die Regeln – die sie übrigens hervorragend beherrscht – und sie tut das, was getan werden muss, ohne lange zu zögern. Sie hat mit keiner Wimper gezuckt, als ich plötzlich mit einem Dutzend Sitzenden im Schlepptau im Lager auftauchte, und sofort gewusst, welche Information für mich die wichtigste war, obwohl Lelaine es nicht erkannte. Sie wird einmal eine phantastische Aes Sedai, davon bin ich überzeugt.“

„Ihr habt offensichtlich eine ausgezeichnete Wahl für Eure Adjutantinnen getroffen, Mutter. Ich muss gestehen, ich bin beeindruckt.“

„Danke, Tarna. Für dieses Kompliment musst Du das nächste Protokoll auch nicht mehr selbst kopieren, spanne ruhig Nicola dafür ein.“

„Zu großzügig, Mutter.“ kam es trocken zurück. „Machen wir endlich weiter? Es ist schon spät.“

„Sicher.“ gab Egwene zurück und wandte sich an den Saal. Alle Sitzenden musterten sie nachdenklich und waren ihrer Unterhaltung natürlich sehr neugierig gefolgt. Sie hoffte, dass es Eindruck machte, wie gut sie mit ihrer Behüterin der Chronik zurecht kam, sonst hätte sie sich auf dieses Geplänkel nicht eingelassen. Dass Tarna Feir sie offensichtlich voll als Amyrlin anerkannte, würde es anderen hoffentlich erleichtern, sie in gleicher Weise anzuerkennen. Zusätzlich hatte sie mit dem letzten Kommentar deutlich gemacht, dass sie gewillt war, auf deren Ratschläge zu hören. Ein wichtiger Punkt, denn Elaida war dazu nicht bereit gewesen, weder bei Tarna, noch bei irgendwem sonst.

„Irgendwelche Stimmen zu Punkt acht?“ fragte sie gelassen. Als niemand antwortete, fragte sie mit etwas schärferer Stimme: „Weiß eine von Euch, was der Punkt acht besagt, ich bitte um Handzeichen?“

Yuriki war die einzige, deren Hand sich hob. Die Graue musterte die übrigen Sitzenden kühl und erhob sich. „Ich bitte ums Wort, Mutter.“

„Wort erteilt, Tochter. Schön, dass wenigstens eine Sitzende dieser Sitzung noch ihre volle Aufmerksamkeit widmet.“ Sie bemühte sich, nicht sarkastisch zu klingen, merkte aber selbst, dass es ihr nicht sehr gut gelang. Ihre Geduld mit diesen Frauen näherte sich langsam aber stetig ihrem Ende. Sie war froh, dass die Graue endlich das Wort ergriffen hatte, setzte sich und wartete sehr gespannt, was jetzt wohl kam.

„Danke, Mutter.“ Yuriki blickte die übrigen Sitzenden einen Moment lang ruhig an, jede einzelne von ihnen, bevor sie begann.

„Ich muss zugeben, dass die Umstände dieser Sitzung ungewöhnlich sind, Sitzende der Weißen Burg, aber ich rufe Euch hiermit alle zur Ordnung!“ Sie wurde tatsächlich LAUT, als sie das sagte, und fuhr dann etwas gemäßigter aber sehr streng und eindringlich fort. „Wir machen auf dieser Sitzung bisher einen sehr schlechten Eindruck auf die Mutter. Sie hat uns heute gezeigt – und offenbar schon viele Male zuvor! – dass sie unseres Vertrauens würdig ist. Vertrauen zwischen Amyrlin-Sitz und den Sitzenden ist in dieser Zeit unumgänglich, Sitzende, ganz genau wie es die Mutter bereits ansprach. Ich erwarte von jeder einzelnen von Euch, dass sie sich ab sofort des Vertrauens der Mutter als würdig erweist und ihr wenigstens mit der gebotenen Aufmerksamkeit zuhört. Hättet ihr das getan, Sitzende, dann wäre jeder von Euch jetzt Folgendes klar: Die Hierarchie der Schwesternschaft bleibt bestehen, denn sie wurde durch einen angenommenen Beschluss dieses Saals der Burg zu einem Teil der Weißen Burg selbst. Das sogenannte „Kränzchen“ dieser Schwesternschaft ist normalen Aes Sedai gegenüber weisungsbefugt und ihre Vorsitzende, oder wie sie sie auch immer nennen mögen, ist Euch gegenüber weisungsbefugt.“ Sie zeigte mit dem Finger in die Runde und große Augen blickten ihr verstört entgegen. „Sowohl die Windsucherinnen des Athan Miere als auch die Weisen Frauen der Aiel verstoßen seit fast einer halben Stunde gegen das Burggesetz, da sie nicht zu der Schwesternschaft gehören. Beide Gruppen für sich sind deutlich zahlreicher als alle Aes Sedai der Weißen Burg zusammen und das gilt vermutlich auch dann noch, wenn man sämtliche Aufgenommenen, Novizinnen und die Schwesternschaft mitzählt. Punkt acht, also „Bündnismöglichkeiten der Weißen Burg angesichts der veränderten Lage“, dürfte so ziemlich der wichtigste Punkt auf dieser gesamten Sitzung sein.“ Sie wandte sich äußerlich entspannt und mit ruhiger Stimme wieder an Egwene. „Ich nehme an, der Tagesordnungspunkt acht bezieht sich auf ebendiesen Sachverhalt, Mutter?“

„Größtenteils, Tochter. Auch die Sul’dam und Damane der Seanchan sollten wir nicht vergessen, denn auch sie verstoßen jetzt gegen das Burggesetz, was uns zumindest eine rechtliche Handhabe gegen sie verleiht. Möchtest Du dem Gesagten noch etwas hinzufügen?“

„Nur noch eine Bitte, Mutter. Erklärt das Sitzungsprotokoll für der Flamme versiegelt, damit der Saal der Burg wenigstens nach außen hin nicht vollkommen unfähig und begriffsstutzig wirkt.“ Ihr Tonfall klang bei dieser verbalen Ohrfeige für sämtliche Sitzenden völlig gelassen.

Egwene zögerte nicht. „Ich erkläre das Sitzungsprotokoll für der Flamme versiegelt, soweit es nicht die gefassten Beschlüsse betrifft.“ Dies war mehr, als Egwene zu hoffen gewagt hätte. Erheblich mehr!

„Danke für das mir erteilte Wort, Mutter.“ Die Graue setzte sich mit einem angedeuteten Nicken, jetzt wieder ganz die Ruhe in Person. Egwene fragte sich, ob damit der Gefallen, den sie der Grauen schuldete, abgegolten war, glaubte das aber eigentlich nicht. In den Begriffen der Aiel hatte ihr Toh gegenüber dieser Frau sogar zugenommen, da ihr diese Bitte durchaus gelegen kam, und sie würde sich danach richten, beschloss sie.

Die Sitzenden wirkten erneut völlig erschlagen, das war unannehmbar, was für Aes Sedai hatten die Ajahs ihr bloß geschickt! Sofort ergriff sie selbst wieder das Wort und gab sich große Mühe, ihre Stimme im Zaum zu halten.

„Ich halte es für unumgänglich, Sitzende, dass wir einen Weg finden, beide von Yuriki genannten Gruppen vor der letzten Schlacht fest an die Weiße Burg zu binden. Einen Weg, den sowohl die Windsucherinnen als auch die Weisen Frauen zu akzeptieren bereit sind. Wir müssen schnell zu einem Ergebnis in dieser Sache kommen, denn die Zeit drängt. Ich will mich möglichst noch heute Nacht mit einigen Weisen Frauen der Aiel treffen und ich will etwas Handfestes, das ich ihnen präsentieren kann, ohne sofort auf völlige Ablehnung zu stoßen und meinen hart erkämpften Respekt wieder zu verlieren. Es bereitet mir keine Freude, das zu auszusprechen, aber die Weisen Frauen der Aiel und die Windsucherinnen des Meervolks verlieren mit jeder Stunde, die vergeht, mehr Respekt vor den Aes Sedai und der Weißen Burg! Leider sehe ich in dieser Angelegenheit nicht einmal eine Andeutung einer praktikablen Lösung, Sitzende. Helft mir dabei, Sitzende! Bitte! Ich kann das alleine unmöglich schaffen, so sehr ich mich auch bemühe. Wir brauchen für Tarmon Gaidon nichts so sehr wie starke Verbündete und gegenseitiges Vertrauen bei allen, die bemüht sind, den Schatten zu bekämpfen. Die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit haben die Weiße Burg in einer Art geschwächt, die mir Angst macht. Der Burgsaal entscheidet über Beschlüsse, die das Leben und Schicksal aller Machtlenkerinnen auf der Welt betreffen, ohne es auch nur zu merken, Sitzende! Fasst Euch! Ihr seid Aes Sedai! Ihr müsst noch viel lernen, wie wir alle, aber ihr wisst auch unglaublich viel. Bitte, wendet all Euer Wissen jetzt an, um die Weiße Burg wieder erstarken zu lassen! Wie können wir diese Menschen, über die wir viel zu wenig wissen, dazu bringen, der Weißen Burg zu vertrauen, Sitzende? Wir müssen eine Lösung finden, so schnell es nur geht.“ Sie hielt inne, was gab es dazu noch zu sagen. Es war ihr im Verlauf dieser kleinen Ansprache zunehmend schwerer gefallen, nur eindringlich zu klingen und nicht erregt. Sie war nicht sicher, ob ihr das gelungen war. Am liebsten hätte sie sie allesamt angebrüllt, damit sie endlich zur Vernunft kamen! Na gut, außer Yuriki, welche als einzige auch jetzt noch gelassen wirkte.

„Denen habt Ihr es aber gegeben, Stärkste Mutter.“ meinte Salak Turvalis hinter ihr trocken und klang beeindruckt. Er hatte den ungebeten Kommentar nicht einmal wie vereinbart angekündigt!

„Wenn Du Vorschläge hast, dann heraus damit, ansonsten halt den Mund!“ gab Egwene bissig zurück.

„Ehrlich gesagt, Stärkste Mutter...“ er blieb innen wie außen völlig gelassen und sie versuchte, sich daran ein Beispiel zu nehmen „...glaube ich, dass ihr eine Pause machen solltet. Ihr solltet ihnen etwas Zeit geben, sich wieder zu sammeln, Stärkste Mutter. Sicher könnt ihr die gewonnene Zeit anderweitig produktiver nutzen.“

Das war der beste Vorschlag, den sie auf der gesamten Sitzung bisher gehört hatte. Mit Abstand sogar! „Die Sitzung nach dem Kriegsrecht ist vertagt. Wir treffen uns in einer Stunde wieder hier. Und seid diesmal pünktlich! Mesaana, komm.“ Sie stand auf und schritt, dicht gefolgt von Salak, Tarna und der Verlorenen, aus dem Saal. Niemand sagte auch nur ein einziges Wort, es herrschte völlige Stille.

Egwene schritt wortlos an den zwei Schwestern vorbei, die vor der Tür Wache standen, und wandte sich dann an Salak: „Was wolltest Du vorhin sagen, Erster Behüter?“

„Da Punkt sechs für Euch offensichtlich ein kritischer war, wollte ich für eine kurze Ablenkung sorgen, indem ich auf Euren Status als Stärkste Mutter aufmerksam mache. Ich wusste ja nicht, dass Ihr selbst eine weit bessere Ablenkung vorbereitet hattet.“ Offenbar hatte er ihre innere Anspannung beim Vortrag der Tagesordnung sehr präzise ausgelegt. Kein Wunder eigentlich, er war schon länger Behüter, als sie lebte.

„Verzeih, Erster Behüter, dass ich Dich eben so angefahren habe. Mir war nicht klar, dass Du einen so nützlichen Vorschlag machen wolltest, gute Arbeit.“

„Es war nichts, Stärkste Mutter, passte sogar ganz gut ins Bild, wenn Ihr mich fragt. Doch jetzt wartet ein dringender Termin auf Euch, bitte folgt mir.“ Er ging die Treppe hinauf, statt hinunter, wie Egwene eigentlich vorgehabt hatte. Sie folgte ihm gelassen, aber neugierig.

„Was ist das für ein Termin, Erster Behüter?“ wollte sie wissen.

„Einer, der keinen Aufschub duldet, Stärkste Mutter, vertraut mir.“

Sie spürte, dass zwei ihrer Behüter auch dort oben waren, vermutlich ging es um Mattin Stephaneos. Gawyn näherte sich der Burg nur langsam, wie sie spürte. Leane musste jetzt auch dort sein, denn ihr zweiter Behüter war unmittelbar in Gawyns Nähe. Siuan war anscheinend in ihrem Quartier. Sie begann, Tarna von ihren Vorstellungen über die Zusammenarbeit mit den Windsucherinnen und vor allem den Weisen Frauen zu berichten, damit ihre Behüterin der Chronik vorbereitet wäre, sobald es weiter ging. Bald kannte sie ihr Ziel, es musste Siuans ehemaliger Thronsaal sein, wo ihre zwei Behüter auf sie warteten. Als sie vor der Tür ankamen, war sie sicher. Sie entließ Tarna fürs erste mit einem Dank und erwiderte deren respektvolles Nicken, bevor sie die Tür öffnete und eintrat.

Allerdings war sie nicht auf das Gedränge vorbereitet, das sie hinter der Tür vorfand. Es wimmelte schon wieder vor Behütern, der Thronsaal konnte sie kaum fassen!

„Zu Diensten, Stärkste Mutter.“

Es war nicht einmal laut, erklang aber aus hunderten Kehlen. Dann formte sich eine enge Gasse für sie und sie trat mit einem vernehmlichen „Danke, Behüter der Weißen Burg.“ in den Thronsaal.

Am Ende der Gasse standen ihre Behüter Nummer vier und fünf hinter einem kleinen Tisch, vor dem offenbar Mattin Stepaneos bisher Platz genommen hatte. Jetzt stand er auf und grüßte sie mit einem respektvollen „Mutter“ und einer galanten Verbeugung, sobald sie sich näherte. Dann fuhr er fort. „Eure Behüter meinten, ich solle am Besten hier auf Euch warten, Mutter. Offenbar habt Ihr heute das Frühstück ebenso ausfallen lassen, wie den Mittag, Mutter. Laut Euren Behütern seid Ihr zudem müde, daher setzt Euch zu mir, ich bitte Euch. Esst und trinkt und entspannt Euch, Mutter. Ich bin jetzt schon so lange in der Weißen Burg, dass ein paar Tage mehr auch nichts mehr ändern. Lasst uns ein andermal über Politik sprechen, Mutter, das hat noch Zeit.“ Er deutete auf den einladenden Sessel direkt vor ihr. Auf dem Tisch standen mehrere Tabletts mit Speisen aller Art und gegen ihren Willen knurrte ihr Magen bei dem Anblick.

Ihr Erster Behüter lachte leise. „Setzt Euch, Stärkste Mutter, Eure Gesundheit ist in Gefahr und das kann ich doch nicht zulassen.“

„Wie hast Du das organisiert?“ wollte Egwene wissen, als sie Platz nahm. Sie war wirklich sehr hungrig.

„Per Behüter-Post sozusagen. Ich habe Anweisungen von einigen Behütern verbreiten lassen, Stärkste Mutter. Außer ihren Aes Sedai achtet kaum eine Schwester auf die Behüter.“ Sie spürte etwas Neues bei ihm, er schien dringend etwas von ihr zu erwarten. Dann hatte sie geschaltet und erhob sich wieder. Sie musste wohl eine kleine Rede halten.

„Behüter der Weißen Burg,...“ begann sie klar und deutlich und blickte umher „...ohne Euch wäre die Weiße Burg ein düstererer Ort. Zu meinem Bedauern muss ich gestehen, dass ich weder über Euch Behüter noch über Eure Prophezeiung sonderlich viel weiß. Was ich hingegen weiß, ist, dass ich jeden Mann, der treu zu mir steht, in dieser schwierigen und gefährlichen Zeit, sehr zu schätzen weiß. Die Weiße Burg braucht Männer wie Euch, heute mehr als je zuvor, Behüter der Weißen Burg.“ Ihr kam ein Gedanke „Kommt einer von Euch aus dem Meervolk oder weiß einiges über sie?“

Ein paar Hände wurden gehoben. Zwar kam niemand direkt vom Meervolk, wie sich schnell zeigte, aber jede Information mochte nützlich sein. „Bitte schreibt alles auf, was es über das Meervolk, ihre Sitten, Handelsgebräuche und Gesellschaftsstruktur zu wissen gibt. Hat einer von Euch längere Zeit beim Meervolk gelebt?“ Einer war fast drei Jahre auf einem Klipper des Meervolks gesegelt, sehr gut! „Du sammelst alles und berichtest dem Ersten Behüter das Wichtigste in genau einer halben Stunde. Die Übrigen behalten die Situation in der Burg im Auge und sorgen dafür, dass ihre Aes Sedai keinen Unsinn anstellen. Wenn Siuan, Leane, Nicola oder Sharina nach mir fragen, dann bringt sie sofort zu mir.“ Sofort machten sich alle Behüter außer ihren eigenen auf den Weg.

„Ausgezeichnet, Stärkste Mutter, gebt Ihnen immer etwas zu tun. Behüter, die sich langweilen, machen nur Ärger.“ Salak Turvalis war natürlich längst wieder völlig gelassen. Es gefiel ihr nicht, wenn sie nach seiner Pfeife tanzte, aber andererseits hatte er es geschickt genug eingefädelt, dass jeder die Rede für ihre eigene Idee halten musste. Und sie erkannte jetzt auch, warum eine Rede nötig gewesen war: Die Behüter mussten spüren, dass ihr etwas an ihnen lag, dann wäre ihre Loyalität unverbrüchlich und ihre Treue Gold wert.

„Das gilt für alle Männer, Erster Behüter.“ gab sie trocken zurück und nahm wieder Platz.

Mit Heißhunger machte sie sich über das Essen her, so gut hatte sie schon lange nicht mehr gespeist. Im Lager der Rebellen hatte nicht gerade Überfluss geherrscht, um es vorsichtig auszudrücken. Nur die Oliven verschmähte sie, weil sie ein wenig ranzig rochen, obwohl sie sicherlich noch genießbar waren. Sie gab Mesaana auch etwas Wasser und Brot, die Verlorene musste bei Kräften bleiben. Die verwunderten Blicken, die der Verlorenen gelegentlich zugeworfen wurden, ignorierte sie einfach.

Beiläufig nippte Mattin Stepaneos an seinem gewürzten Wein und erzählte ihr von sich. Von den Schlachten, die er gefochten hatte. Wie er in Gefangenschaft geraten und dennoch als Sieger aus dem Weißmantelkrieg hervorgegangen war. Er erzählte von der Taktik Pedron Nialls und wie er darauf reagiert hatte. Er berichtete sehr gelassen und doch mitreißend, war wirklich ein geübter und guter Unterhalter. Egwene hörte ihm mit großer Aufmerksamkeit zu. Er hatte eine völlig andere Perspektive auf die Geschichte, als die Aes Sedai, mit denen sie bisher gesprochen hatte. Ab und an stellte sie höflich eine Frage, doch meist war sie es zufrieden, einfach zuzuhören, darin war sie gut. Sie bezweifelte, dass Mattin gegenüber irgendjemandem außer ihr so offen sprechen würde, und sie war ihm dafür sehr dankbar.

Nach einer Weile kam der Behüter, der mit dem Meervolk gereist war, zurück. Sofort begannen er und Salak eine angeregte Unterhaltung. Sie achtete nicht darauf, während der Sitzung konnte Salak alles Wichtige beisteuern.

„Es ist erstaunlich, Mutter, wie bereitwillig die Behüter machen, was Ihr ihnen sagt. Von so etwas habe ich noch nie zuvor gehört, sind alle Behüter irgendwie an den Amyrlin-Sitz gebunden?“ wollte Mattin leise wissen.

„Normalerweise sind Behüter in erster Linie ihrer Aes Sedai verpflichtet, Mattin. Auch ich habe von so etwas noch nie zuvor gehört.“ Für seine Offenheit hatte er etwas verdient. „Anscheinend liegt es an dieser Geschichte mit der Stärksten Mutter, allerdings habe ich nach wie vor keine Ahnung, was es damit und mit der sogenannten „Prophezeiung der Behüter“ genau auf sich hat. Im Moment bin ich allerdings für jeden dankbar, der macht was ich ihm sage, ohne lange hin und her zu diskutieren. Ihr habt mir im Saal der Burg sehr geholfen, Mattin. Es ist schön, einen starken Verbündeten wie Euch auf meiner Seite zu wissen.“

„Nicht doch, Mutter, ich bin es, der Euch zu Dank verpflichtet ist.“

„Eines sollte ich Euch nicht vorenthalten, Mattin. Ich halte es für möglich, dass Elaida Euch – wenn auch eher zufällig – das Leben gerettet hat.“ Er war sichtlich überrascht. „Ihr wärt für jeden der Verlorenen ein gefundenes Fressen gewesen und es ist durchaus wahrscheinlich, dass Sammael, den Ihr als „Lord Brend“ kennengelernt habt, Euch beim Angriff des Wiedergeborenen Drachen einfach getötet hätte. Das hätte ein sehr schlechtes Licht auf Rand al'Thor geworfen, ohne Zweifel sehr nützlich für den Dunklen König. Ich hielt es aber für angebracht, dies dem Saal der Burg gegenüber zu verschweigen, denn dies lag so bestimmt nicht in Elaidas Absicht.“

„Ihr seid sehr offen, Mutter.“

„Es ist lediglich eine Möglichkeit, nichts weiter.“

„Wenn ich fragen darf, Mutter, habt Ihr Euch über meine zukünftige Rolle schon Gedanken gemacht?“

Es musste ihn wirklich mitnehmen, so in der Luft zu hängen, er hatte eine Antwort verdient. Sorgfältig legte sie sich passende Worte zurecht, während sie ruhig mit ihrer Serviette ihre Mundwinkel und ihre Finger von Fett der Hähnchenschenkel befreite. Dann erst blickte sie ihm wieder gelassen in die Augen. „Mattin Stepaneos, auch wenn Eure Rolle bei Tarmon Gaidon noch nicht feststeht, bin ich sicher, es wird eine Wichtige sein. Ihr seid ein guter und respektierter Heerführer. Ihr besitzt Mut und Entschlossenheit. Ihr verfügt sowohl in Illian als auch weiter darüber hinaus als Euch vielleicht klar ist über starken Einfluss. Leider bin ich ohne den Saal der Burg und ohne direkten Kontakt zum Wiedergeborenen Drachen noch nicht in der Lage, Euch mehr zu bieten, Mattin.“

„Ich danke Euch, dass Ihr mir Mut gebt, Stärkste Mutter.“ Jetzt fing er auch noch damit an. Sie ignorierte es, so gut sie konnte. „Ich hörte, Ihr habt alle Behüter daraufhin geprüft, ob sie Schattenfreunde sind. Bitte, vertraut auch mir, Stärkste Mutter.“ Licht, zuerst Gareth Bryne und jetzt er! Sie sollte besser acht geben, dass das nicht Schule machte!

„Dazu müsste ich Zwang einsetzen, Mattin, und das widerstrebt mir, da ich bereits davon überzeugt bin, dass Ihr im Licht wandelt.“ Und natürlich, weil es ihr entschieden zu leicht fiel, den Zwang einzusetzen. Insgeheim hegte sie bereits bereits die Befürchtung, die Anwendung des Zwanges könnte für sie schließlich zur Gewohnheit werden und sie würde ihn leichtfertig einsetzen.

„Tut es, Mutter, ich bestehe darauf.“ Er wirkte sehr ernst.

Egwene verdrängte ihre Schuldgefühle, griff nach Saidar und wob den Zwang erneut so sanft sie es vermochte. Es war wichtig, sicher zu sein, er hatte völlig recht. „Wandelt Ihr wahrhaftig im Licht, Mattin Stephaneos?“

„Ja, Stärkste Mutter.“

Sie lächelte. „Ich fürchte, der Saal der Burg braucht mich jetzt, Mattin. Ich werde gerne wieder mit Euch speisen, wenn es sich ergibt, Ihr seid ein guter Gesellschafter.“ Sie erhob sich und er folgte ihr darin sofort.

„Das war alles, Mutter? Das war die Prüfung?“ Er konnte seine Verwunderung nicht verhehlen, versuchte es nicht einmal.

„Ja, Mattin.“

„Die Behüter haben mir erzählt, es wäre unheimlich schrecklich und schmerzhaft, Mutter.“ Er runzelte etwas die Stirn und sie musste lachten.

„Nur für die schlimmsten Schattenfreunde, Mattin, nur für sie! Ihr solltet nicht vergessen, dass Behüter so viel lügen können, wie sie wollen. Ich glaube, sie mögen Euch, sonst hätten sie Euch das bestimmt nicht weisgemacht.“ Ihr ging auf, was er für sie auf sich zu nehmen bereit gewesen war, und sie wurde rasch wieder ernst. „Behaltet Euren Mut, Mattin Stephaneos, eine bessere Waffe gegen den Dunklen König könnt Ihr nicht finden. Übrigens schadet es bestimmt nicht, wenn Ihr Euch ganz allgemein über Verteidigungsstrategien gegen Machtlenker Gedanken macht, die Schnell Reisen können.“ Mit einem Nicken verabschiedete sie sich und ihr Erster Behüter folgte ihr auf dem Fuße. Sie befahl „Mesaana, Du bleibst in meiner Nähe.“ und sofort schloss die Verlorene mit einem gepressten „Ja, Mutter.“ zu ihr auf. Sie hörte den Meervolk-Experten und Mattin hinter sich aufkeuchen und spürte eine Mischung aus Schrecken und Erstaunen bei ihren anderen zwei Behütern, kümmerte sich aber nicht weiter darum. Es war wichtig, dass alle Welt von der Gefangennahme wusste, das spürte sie einfach.

Eine gute Stunde später waren sie noch immer bei Punkt acht. Es schien unmöglich, dass sie heute noch dazu kämen, die Seanchaner zu besprechen, geschweige denn Sonstiges, wie Elaida, das Herz der Burg, die Lage in Andor oder die Zukunft Mattin Stephaneos'. Draußen war es längst tiefste Nacht, auch wenn man im von zahlreichen Leuchtern erhellten Saal nichts davon merkte. Das Selbstbild der meisten anwesenden Aes Sedai war noch immer von so viel Stolz und Überheblichkeit geprägt, dass es für ein Dutzend Esel gereicht hätte – zumindest hatte Egwene diesen Eindruck. Es hatte durchaus ein paar sinnige Vorschläge gegeben, aber das meiste war so weltfremd, dass es unmöglich durchzusetzen wäre. Aber Lelaine, die gerade das Wort hatte, setzte allem die Krone auf.

„...Wenn es folglich mit einer Dreiviertelmehrheit möglich ist, die Beschlüsse wieder aufzuheben, sehe ich nichts, was dagegen spräche. Wir sollten zumindest die Möglichkeit in Betracht ziehen, Mutter.“ Ihr falsches Lächeln deutete an, das sei doch nun wirklich das Vernünftigste.

Sie hoffte, dass es mit Romandas und Myrelles Hilfe nicht dazu käme, wenn sie den Antrag tatsächlich stellte. Es hatte sie viel gekostet, diese Beschlüsse durchzusetzen, fast alle ihre Trümpfe hatte sie dafür opfern müssen, und jetzt das. Sie hielt ihre Stimme weiterhin ruhig: „Danke, Tochter. Vielleicht gibt es noch jemanden, der einen produktiven Vorschlag unterbreiten möchte?“ Zu ihrer Überraschung signalisierte ihr Erster Behüter, dass er sprechen wollte. Sie stimmte sofort zu und warf ihm einen beiläufigen Blick zu, wobei sie einige bereits stehende Sitzende ignorierte.

„Ihr braucht Unterhändler, Mutter.“ sagte Salak Turvalis verbindlich.

„Braune?“ wollte sie sofort wissen. Unterhändler waren wirklich ein guter Gedanke!

„Vielleicht sollten welche dabei sein, Stärkste Mutter, vielleicht sogar eine Aes Sedai jeder Ajah. Das macht es für Außenstehende vielleicht sozusagen offizieller. Blaue und Rote Aes Sedai gemeinsam in einer Delegation zu sehen, wird sehr eindrucksvoll deutlich machen, dass es Euch gelungen ist, die Weiße Burg unter Euch zusammenzuführen, Stärkste Mutter. Aber die eigentlichen Unterhändler sollten einen möglichst unvoreingenommenen Eindruck machen, auf Aes Sedai trifft das wohl kaum zu.“

„Das klingt richtig.“ stimmte Egwene nachdenklich zu.

„Und dann bekommt ihr am Ende etwas, über das der Saal der Burg abstimmen kann. Es würden, statt der Aes Sedai alleine, alle Machtlenkerinnen daran beteiligt sein, die Lösung zu finden. Das führt zu besserer Akzeptanz auf allen Seiten.“

„Und wen würdest Du schicken?“ wollte sie neugierig wissen.

„Ich habe leider keine Ahnung, Stärkste Mutter. Vermutlich würde ich Männer schicken, auch wenn ich selbst nicht genau sagen könnte, warum.“ Auch das klang sinnvoll, die meisten Unterhändler waren Männer.

„Also schön,...“ wandte sie sich wieder an die Sitzenden „...ich stelle den Antrag, auf der Fortsetzung dieser Sitzung, die übrigens morgen früh um Punkt acht beginnt, zwei Unterhändler zu bestimmen, je einen für die Aiel und das Meervolk. Sie sollen von jeweils von einem Mitglied jeder Ajah begleitet werden. Stimmen zum Antrag?“

Erst nach einer weiteren halben Stunde fruchtloser Diskussionen kam ihr Antrag denkbar knapp mit elf zu zehn durch und sie vertagte die Sitzung deprimiert. Sie hatte auf mehr gehofft. Sie erinnerte Saerin daran, sie über ihre Nachforschungen auf dem Laufenden zu halten und trug Pevara auf, morgen den Bericht über die Wachen vorzulegen, die an den Brücken aktiv waren. Darüber hinaus forderte sie von allen Ajahs Berichte über die Patrouillen, die sie in die Stadt geschickt hatten, und natürlich über alle noch fehlenden Schwestern.

Kaum verließ sie gefolgt von Salak, Tarna und Mesaana den Saal, da erblickte sie Gawyn, Leane, Lord Bryne und ihre Behüter zwei und drei, welche offenbar allesamt energisch mit den zwei Schwestern diskutiert hatten, die vor der Tür Wache standen. Natürlich hatte sie Gawyn und ihre Behüter lange vorher schon gespürt. Sie war kurz davor gewesen, sie alle in den Saal zu holen, doch die Sitzenden wären bei der Organisation der Burgverteidigung wohl keine große Hilfe, daher hatte sie es bleiben lassen.

„Tut mir leid, Mutter, sie wollten uns nicht reinlassen. Ich habe alles versucht.“ Leane war offenbar abgeschirmt und gefesselt, wie sie halb amüsiert und halb missbilligend feststellte. Und die vier Männer konnten sich ebenfalls nicht rühren.

Sie wandte sich gelassen an die zwei Schwestern. „Sie hatten den Befehl, sofort zu mir zu kommen, ihr hättet sie durchlassen müssen, Töchter. Lasst sie jetzt los.“ Dann stutzte sie, etwas hatte sie übersehen, fiel ihr auf. „Wie kommt es, dass ihr Nicola hereingelassen habt?“ Sie konnte es sich bereits denken, bevor die Frage zuende gestellt war.

Die Aes Sedai zur Rechten ließ den Schild und die Fesseln schnell fallen und die linke antwortete „Sie hat uns abgeschirmt und gefesselt, Mutter.“ Beide bekamen leicht gerötete Wangen.

Egwene unterdrückte mühsam ein Lächeln. „Alle außer Euch beiden kommen mit mir.“ sagte sie und wandte sich in Richtung Thronsaal. „Leane, Bericht.“

Die Grüne ließ sich sofort über Positionen und Mannschaftsstärken aller Truppen aus. Anscheinend gab es bisher keine Übergriffe oder andere Probleme, wenigstens etwas. „Wo steckt Siuan?“ wollte sie dann wissen.

„Sie sucht Nicola, damit wir die beiden von der Tür abschirmen können, Mutter.“ gab Leane nach einem Räuspern zu.

„Erster Behüter, bitte sorge dafür, dass Siuan und Nicola in den Thronsaal gebracht werden.“

„Sofort, Stärkste Mutter.“ Er gab ihren beiden übrigen Behütern präzise Anweisungen und diese machten sich sofort auf den Weg. Zweifellos würde die „Behüter-Post“ erneut zum Einsatz kommen, überlegte sie amüsiert. Sie spürte, wie die beiden sich trennten und rasch in entgegengesetzte Richtungen eilten. Dann wandte sie sich an Tarna. „Behüterin der Chronik, bitte sorge dafür, dass sämtliche Angestellten und sonstige Bewohner der Weißen Burg als erstes morgen früh in den Thronsaal gebracht werden. Sie alle müssen noch geprüft werden.“

„Wie ihr meint, Mutter. Was ist mit den Novizinnen?“

„Die müssen sich erst einmal einquartieren und kommen nach dem Mittag dran.“ Tarna kommentierte diese Entscheidung mit einem Nicken.

„Wer ist denn das da, Egwene?“ wollte Gawyn leise aber sehr neugierig wissen und wies auf Mesaana, die ihnen trübsinnig folgte. Er gab sich nach außen ruhig, aber sie wusste, dass er praktisch seit dem Augenblick seiner Bindung im Wesentlichen verwirrt war. Sie musste ihm viel erklären, das war sie ihm schuldig. Andererseits hatte er seine Truppen gegen ihre geführt, wenn auch ohne sich dessen bewusst zu sein. In was für einer blöden Lage waren sie beide hier bloß gelandet?, fragte sie sich genervt. Sie blieb stehen und wandte sich ihm zu, wollte ihn ein weiteres Mal auf später vertrösten. Dann sah sie ihn das erste Mal seit ihrem Treffen auf offenem Feld wirklich an und für einen Moment stockte ihr der Atem. Er war so stattlich und doch so süß! Ihr Herz schlug ihm entgegen, wie gerne wäre sie jetzt mit ihm allein! Seine Wangen färbten sich etwas und er fühlte sich verlegen an. Natürlich, er wusste ja, was sie empfand, hoffentlich würde sie sich bald daran gewöhnen. Sie musste einfach mit ihm reden, jetzt!

„Gawyn, auf ein Wort unter vier Augen.“ Sie zog ihn an die Seite des Korridors und wob einen undurchsichtigen Schild um sie, den sie sofort abband, sowie eine kleinen Schutz gegen Lauscher, den sie festhielt.

„Egwene, was…?“

Sie hielt ihm einen Finger an die Lippen, rückte ganz nah an ihn heran und er verstummte. Sie spürte ganz kurz starke Heiterkeit bei Salak Turvalis - verdammt sollte er sein! - sowie starke Überraschung und Verlegenheit bei ihren übrigen Behütern, aber sie ignorierte das so gut sie konnte. Sie zog Gawyn an sich und küsste ihn. Sofort verschwand ein Großteil seiner Verwirrung und machte anderen Gefühlen Platz, die deutlich stärker waren und die sie selbst uneingeschränkt erwiderte. Die Verwirrung ihrer anderen Behüter – außer Salak, der jetzt wieder gelassen wirkte – war ihr angesichts ihrer eigenen und Gawyns Gefühlen kaum mehr bewusst. Es dauerte eine Weile, bevor sie sich langsam wieder lösten.

„Was denken Deine übrigen Behüter jetzt wohl?“ fragte Gawyn. Sie spürte eine Mischung aus Liebe, Heiterkeit und einer großen Portion Verlegenheit bei ihm. Seine Verwirrung schien völlig verschwunden zu sein, aber sie wusste, sie würde zurückkommen.

„Vier sind gerade rot geworden und Salak findet das alles ungeheuer komisch.“ gab sie zurück. „Vielleicht kennt Myrelle einen Weg, meine Gefühle irgendwie einzeln vor euch zu verschleiern, ich werde sie danach fragen.“ Sie hielten sich immer noch in den Armen. Sie würde ihre Gefühle nie vor ihm abschirmen, beschloss sie spontan.

„Wer ist denn jetzt diese Frau, die Dir so missmutig hinterherschleicht?“ Er klang, als wäre er neugierig, aber sie spürte deutlich, dass es ihn eigentlich kaum kümmerte.

„Das ist Mesaana, ich habe sie gefangengenommen.“ Seltsamerweise war ihr das irgendwie peinlich. Er war überrascht, aber lange nicht so, wie sie es erwartet hätte.

„Und Du bist jetzt die Amyrlin.“ stellte er fest.

„Es ist einfach passiert.“ Sie hob ihre Schultern. „Am einen Tag bin ich in Cairhien und am nächsten zerrten mich einige Aes Sedai vor den Burgsaal der Rebellen in Salidar um mich zu wählen. Ich konnte doch nicht Nein sagen, als Amyrlin kann ich so viel für Rand tun und ihm auf seinem Weg nach Tarmon Gaidon helfen.“ Sie spürte unterdrückte, aber starke Wut bei Gawyn und konnte sich denken, warum. „Er hätte Morgase nie etwas angetan, Gawyn. Wenn schon aus keinem anderen Grund, dann weil er in Elayne verliebt ist. Bevor Du fragst, nein, ich kann es noch immer nicht beweisen, aber ich kenne Hunderte, die mit Rand in Caemlyn gegen Rahvin gekämpft haben, Gawyn, Tausende sogar! Und das war nachdem wir von ihrem Tod gehört hatten. An Mat erinnerst Du Dich vielleicht sogar, er war schon mal hier in der Burg.“

Für einen Moment fühlte sich Gawyn eindeutig verlegen an, mit einer erheblichen Portion von ... war das Respekt? Anscheinend hatte er Mat damals getroffen. Sie hatte keine Ahnung unter welchen Umständen – warum beim Licht brachte Mat Gawyn in Verlegenheit? - und platzte deshalb fast vor Neugier, aber jetzt gab es Wichtigeres. „Wenn, dann war es Rahvin, nicht Rand, der Deine Mutter getötet hat.“ Ihr kam ein Gedanke „Vielleicht weiß sogar Mesaana etwas darüber, sobald Zeit dafür ist, werde ich sie fragen, ja?“

Seine Zweifel waren wohl eher verdrängt als vergessen. Dann fiel ihr etwas ein, das Rand an jenem Morgen zu Moiraine gesagt hatte. Auch wenn es ihn nicht von Rands Unschuld überzeugen würde, schien es doch geeignet, sein Vertrauen in sie zu festigen. „Gawyn, mir ist gerade etwas wieder eingefallen. Als Rand vom Tod Deiner Mutter hörte, gab er sich sofort selbst die Schuld daran. Er behauptete, gewusst zu haben, dass Rahvin sich in Caemlyn aufhielt, und nichts dagegen unternommen zu haben, da er die Shaido in Cairhien und Sammael in Illian für die akuteren Bedrohungen hielt. Noch an dem Tag, als er von Morgases Tod erfuhr, führte er sein Heer gegen Rahvin, obwohl er vorher noch von Lanfear angegriffen wurde.“ Sie erwähnte besser nicht, was die Verlorene bei dieser Gelegenheit mit ihr selbst angestellt hatte, es würde ihn bloß beunruhigen. „Aber bedenke, Gawyn, er hatte keine Schuld, selbst wenn er es tatsächlich wusste! Er muss davon ausgegangen sein, Morgase sei zu wertvoll und nützlich, um sie zu töten, das ist nur logisch. Und niemand – Niemand, Gawyn! – hat mir bisher bewiesen, dass Deine Mutter überhaupt tot ist.“

„Rand wusste, dass Rahvin in Caemlyn meine Mutter gefangen hielt?“ fragte Gawyn. Seine Gefühle waren plötzlich zu verwirrend, als dass sie sie hätte deuten können.

„Das hat er gesagt.“ bestätigte sie.

„Was wäre mit ihr passiert, wenn er Andor sofort angegriffen hätte?“

„Ich habe keine Ahnung, Gawyn. Er hat es nicht getan.“ Vermutlich etwas Ähnliches wie das, was sie Mattin heute über Sammael gesagt hatte.

„Ich hätte es getan.“ sagte er leise. Seine Gefühle waren immer noch zu verwirrend für sie. „Und damit hätte ich sie vermutlich auch getötet. „Es ist allein meine Schuld, dass sie starb.“ das hat er zu mir gesagt. Darum dachte ich, er hätte im Wahn… Er gab sich die Schuld sagst Du?“

Sie nickte traurig.

„Ich hätte sie retten können, aber ich habe es nicht getan.“ murmelte er.

„Wie hättest Du sie denn vor Rahvin retten können?“ wollte Egwene grimmig wissen.

„Rand hat das zu mir gesagt. Als er entführt worden ist.“ Gawyn fühlte sich plötzlich sehr unwohl.

„Du weißt von dieser Entführung?“ Sie war aufrichtig überrascht. „Ich habe bisher nur Gerüchte darüber gehört, erzähl mir davon.“ forderte sie ihn neugierig auf. Und er erzählte.

Ihr war bewusst, dass sie schon zu lange hier standen, doch dies war zu wichtig. Galina hatte die Führung übernommen, Licht, Galina war eine Schwarze Ajah! Gawyn wäre schockiert, wenn sie es ihm sagte, aber sie unterbrach seinen Bericht nicht. Sie hatten Rand in eine Kiste gesperrt und wieder und wieder geschlagen? Oh, Gawyn! Wie hatte er dabei nur mitmachen können! Er musste Rand aufrichtig gehasst haben. Ein Treffen mit Sevanna? Sie konnte es kaum glauben. Offenbar hatten die Shaido eine Vereinbarung mit den Schwestern getroffen und diese dann gebrochen, um des Car'a'carn habhaft zu werden. Wölfe? War Perrin irgendwie an Rands Befreiung beteiligt gewesen? Es musste wohl so sein. Schließlich kam Gawyn mit seiner Erzählung zum Ende. Ihr wurde bewusst, dass er jetzt starke Schuldgefühle hatte. Hatte er seine Meinung über Rand endlich geändert? Seine nächsten Worte bestätigten diesen Verdacht.

„Du hattest Recht, Egwene. Rand hat sein Bestes getan. Wenn er eine Möglichkeit gesehen hätte, meine Mutter zu befreien, hätte er bestimmt nicht gezögert. Seine Schuld ist nicht größer als meine eigene, schließlich war ich nicht dort, um sie zu schützen, wie es hätte sein sollen.“ Er schüttelte missmutig den Kopf.

„Gib’ Dir nicht die Schuld, Gawyn, Du hättest nichts ausrichten können. Weder in Caemlyn noch gegen die Aes Sedai, die Rand gefoltert haben.“ Rand würde keiner Aes Sedai je wieder völliges Vertrauen schenken können, selbst wenn er wollte, erkannte sie. Was passiert war, hatte ihre Aufgabe extrem erschwert. Wenigstens wusste sie jetzt davon und konnte entsprechend vorsichtig sein. Gawyn schien den Tränen nahe! Sie drückte ihn fest an sich und murmelte beruhigende Worte, bis er sich gefangen hatte. „Hast Du jemals Mattin Stephaneos getroffen?“ fragte sie schließlich um ihn abzulenken.

„Den König von Illian? Nein, warum fragst Du?“ Gawyn schien nicht sonderlich auf dem Laufenden zu sein. Vermutlich hatte keine einzige Aes Sedai es für nötig gehalten, ihn über aktuelle Geschehnisse zu informieren.

„Dann solltest Du das jetzt nachholen, er ist ein faszinierender Mann.“

„Vielleicht solltest Du ihn Dir auch noch zum Behüter nehmen.“ gab er gedankenlos zurück.

Das saß. Sie zuckte sogar zusammen.

„Tut mir leid, Egwene. Es ist wohl alles etwas viel auf einmal für mich. Wir sollten jetzt lieber weitergehen, meinst Du nicht?“ Die Verwirrung war zurück, wenn auch nicht ganz so stark wie zuvor. Erfreut stellte sie fest, dass seine Zuneigung zu ihr jetzt sehr stark zu spüren war. Und natürlich machte er sich Sorgen um sie.

Statt einer Antwort ließ sie ihn langsam los und löste dann den Schild. Siuan und Tarna unterhielten sich angeregt, genau wie Leane und Nicola, während ihre Behüter und Mesaana Gawyn und sie nachdenklich musterten. Es wäre interessant, ihre Gedanken jetzt zu kennen, überlegte sie. Dann ging sie wortlos weiter in Richtung Thronsaal. Die anderen folgten ihr jetzt schweigend und alle wirkten nachdenklich.


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